Ingolstadt
Nostalgieveranstaltung mit Herausforderungen

Beim "Hair"-Gastspiel im Ingolstädter Festsaal bleibt das Publikum lange auf Distanz

01.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:45 Uhr

Make love, not war: Die Musik des legendären Hippie-Musical "Hair" hat auch 50 Jahre nach seiner Uraufführung nichts von ihrer Energie verloren. - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Selten waren sich die Grüppchen an den Bistrotischen vor dem Festsaal in der Pause so einig bei der Findung eines Gesprächsthemas: "Sind die jetzt wirklich alle völlig nackt auf der Bühne gestanden" Sie sind. Und auch sonst hatte das "Hair"-Gastspiel im Ingolstädter Stadttheater für das Publikum offenbar ein paar Herausforderungen zu bieten.

Dabei ist das Ganze ja ein Anachronismus: Männer mit langen Haaren mögen vor 50 Jahren, als das Musical "Hair" kurz nach dem "Summer of Love" zum ersten Mal aufgeführt wurde, noch revolutionär gewesen sein - heute ist das entweder "voll 70er", "sooo 80er" oder gerade schon wieder in. Und "Hair" gehört längst zum allgemeinen Kulturgut. Interessant, dass das Publikum doch erst mal ziemlich reserviert auf Provokationen wie ausgestreckte Mittelfinger, die öffentliche Zurschaustellung von Drogenkonsum und einen blanken Hintern reagiert. Oder eben auf 15 nackte Darsteller auf einer, das muss man dazusagen, fast völlig im Dunkeln liegenden Bühne.

Vielleicht ist es auch die Sprachbarriere, die sich erst mal als Stimmungskiller erweist. Entgegen der Ankündigung "Songs in englischer Sprache, Dialoge in Deutsch" wird dann doch meistens Englisch gesprochen, und das auch nicht immer unbedingt in Oxford-Qualität. Was im Grunde egal ist, wie schon die musicalerfahrene Nadine Kühn als Jeanie sagt, die in dieser deutschen "Hair"-Inszenierung mit ansonsten US-amerikanischen Darstellern eine Deutsche spielt, die im "Summer of Love" nach Amerika gezogen ist: Man spreche zwar eine andere Sprache hier, "im Herzen sind wir aber alle gleich".

So viel Handlung gibt es ja auch gar nicht: Jeannie, Berger, Woof, Crissy und ihre Freunde genießen das Leben, die Liebe, die Drogen, was mit viel Tanz, tollen Songs und bunten Klamotten überzeugend dargestellt wird. Dann erhalten die Männer ihre Einberufungsbescheide, die sie allesamt verbrennen. Bis auf Claude, den Vater von Jeanies ungeborenem Kind, der in einen Gewissenskonflikt zwischen Pflichterfüllung und Ausbruch aus der Gesellschaft gerät. Mehr muss man nicht wissen. Denn das Stück lebt von der Dynamik auf der Bühne. Und natürlich von den Songs.

Man hätte das Ganze natürlich auch moderner inszenieren können. Welchen Stellenwert haben "Peace, Flowers, Freedom, Happiness", also Frieden, Blumen, Freiheit und Glück, in unserer heutigen Gesellschaft? Das hätte sicherlich spannende Ansätze ergeben. Stattdessen ist es ein sentimentaler Rückblick auf eine Zeit geworden, die viel weiter in der Vergangenheit zu liegen scheint als nur 50 Jahre. Eine Nostalgieveranstaltung für alle, die dabei waren, und für die, die gerne dabei gewesen wären. Und das ist vielleicht auch gut so. Schön ist auch, dass die 15 Darsteller, allesamt gut bei Stimme, keine Modelkörper haben und damit natürlicher wirken. Und nahbarer.

Die Distanz zum Publikum versuchen sie schon vor Beginn der Vorstellung zu überwinden. Sie mischen sich unter das in den Saal strömende Publikum - rund 500 Besucher werden es am Ende sein -, fragen nach "Weed" (Marihuana), nehmen einen Schluck aus der Bierflasche. Wer als Mann lange Haare hat, hat bald eine der Damen auf dem Schoß sitzen, und wer so unvorsichtig war, in Hippieklamotten zu kommen, wird gleich auf die Bühne gezerrt.

Doch erst ganz am Ende der Vorstellung ist der Bann gebrochen, schließlich steht das Publikum auf und tanzt zu "Let The Sunshine", den letzten von vielen bekannten Songs, deren Reigen mit "Age Of Aquarius" begonnen hat. Und dann gibt es auch den verdienten Applaus für die 15 Hippies auf der Bühne und nicht zuletzt auch für die gut aufgelegte Liveband in ihrem Rücken.