Ingolstadt
Zwischen Orient und Okzident

Der türkische Pianist Fazil Say ist einer der radikalsten Tastendenker In Ingolstadt wird er "Rapsody in Blue" im Klenzepark spielen

01.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:45 Uhr

Fazil Say ist ein Alleskönner. Er improvisiert, spielt Jazz und Klassik und komponiert. - Foto: Borggreve

Ingolstadt (DK) Vielleicht passt niemand so gut zueinander wie der türkische Pianist Fazil Say (48) und die in Moldawien geborene Geigerin Patricia Kopatchinskaja (40), die beide heuer zu den Sommerkonzerten eingeladen wurden. Und vielleicht ist das genau der Grund, warum die beiden genialen Exzentriker überhaupt nicht miteinander klarkommen.

Sie sind sich zu ähnlich.

Einmal haben sie es versucht. Das war vor über zehn Jahren. Und natürlich wurden die beiden als Traumduo gehandelt, schließlich gleichen sich ihre Auffassungen von Musik frappant. Aber es kam anders, zum Bruch. "Es ist nicht einfach", seufzte Patricia Kopatchinskaja später. "Ich glaube nicht, dass sich je zwei Musiker so in die Haare geraten sind wie wir." Die beiden Dickköpfe beenden ihre Zusammenarbeit bald, denn nichts will ihnen mehr gelingen. Kaum, dass sie zwei Töne spielen, schon geraten sie haltlos in endlose Streitigkeiten. Was für ein Unglück!

Denn die beiden haben immerhin eine wunderbare, ergreifende CD herausgebracht, Kopatchinskajas Debüt-Aufnahme. Inzwischen ist die CD mit Beethovens "Kreutzer-Sonate" und Werken von Bela Bartók sowie einer Komposition von Say längst so etwas wie ein Klassiker. Die beiden spielen so frisch, so extremistisch, so aufwühlend, schneidend und schmutzig, wie man Beethoven niemals vorher gehört hat. Man ahnt, welche Wucht, welcher "artistische Terrorismus" (so ein Beethoven-Zeitgenosse) von dieser Musik ausgegangen sein mag, als sie erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgeführt wurde.

Während Patricia Kopatchinskaja letztlich wahrscheinlich ein ziemlich umgänglicher Mensch ist, gilt das für Say nur begrenzt. Der Pianist eckt an, hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, ist politisch aufmüpfig. Kein Wunder, dass er in einer Art Dauerclinch mit dem Präsidenten seiner Heimat Türkei, Recep Tayyip Erdogan, liegt.

Anfang 2013 stand Fazil Say sogar vor Gericht, weil er über Twitter mehrere spöttisch formulierte Äußerungen verbreitet hatte, die islamische Frömmelei und Scheinheiligkeit auf die Schippe nahm. Der bekennende Atheist wurde wegen Blasphemie zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Das Urteil wurde allerdings wegen eines Formfehlers aufgehoben.

Streitigkeiten mit seiner Heimat gibt es dennoch, Fazil hadert mit der Politik der Regierung Erdogan. Dennoch braucht er seine Heimat, ständig schöpft er Kreativität und Lebenskraft aus diesem zerrissenen Land, aus der türkischen Dichtung, die er in Liedern vertont, aus der Mystik und auch aus der Volksmusik, die er immer wieder in seinen Werken aufleuchten lässt.

Say ist ein Grenzgänger zwischen Orient und Okzident. Und zwischen Klassik und Jazz. Die starren Regeln des Musikbetriebs gelten für ihn nicht. Wenn er komponiert, sind seine Werke von allen möglichen Musikströmungen geprägt.

Am berühmtesten ist der 48-Jährige zweifellos als Pianist. Wenn der Sohn eines Musikwissenschaftlers an den schwarz-weißen Tasten sitzt, dann wird er zum Extremmusiker. Dabei grimassiert er, singt, summt und stöhnt. Eine klavieristische Urgewalt.

In Ingolstadt wird er George Gershwins "Rhapsody in Blue" zusammen mit dem Georgischen Kammerorchester aufführen. Genau das richtige Werk für den Türken. Musik zwischen den Welten, jazzig und klassisch, unorthodox und grandios.