Normalos kontra Behinderte

26.06.2009 | Stand 03.12.2020, 4:51 Uhr

Behindert, nicht behindert – egal, wenn es um Theater geht. Julia Maronde, Jana Zöll, Olaf Danner und Jan Dziobek diskutieren in Peter Radtkes Integrationsstück "Und raus bis Du" über das Leben mit Handicap. - Foto: Theater Ingolstadt

Ingolstadt (DK) Vier Schauspieler erarbeiten gemeinsam eine literarische Collage zum Thema Behinderung. Nein, falsch. Zwei behinderte Schauspieler und zwei nicht behinderte treffen sich, um das zu tun. Das ist die Rahmenhandlung dieser von Peter Radtke geschriebenen und inszenierten Produktion "Und raus bist Du" im Kleinen Haus. Und ein wenig auch ihre Crux.

Denn natürlich sind die beiden "normalen" Mimen recht ignorant, was das Leben mit Behinderung angeht, und natürlich müssen die Gehandicapten – er in zornigem Leidenstrotz, sie mit verständnisvoller Diskussionsbereitschaft – erst mal informieren, erklären, statistisch beweisen und vermitteln, wie das ist. Ach, das wäre nicht nötig gewesen! Denn mit schönem Theater prunkt die Inszenierung abseits ihrer hölzernen, so pädagogisch angelegten Rahmenhandlung. Mit bestens ausgesuchten Szenen von Shakespeare über Lessing bis hin zu Tabori, deren Protagonisten alle in irgendeiner Form mit Behinderung zu tun haben wie Tellheim in "Minna von Barnhelms" oder Laura aus der "Glasmenagerie", und die doch ganz andere, viel größere Geschichten erzählen. Mit einer spannenden Textauswahl: vom Alten Testament ("Niemand, an dem ein Fehl ist, soll sich mir nahn") über Ausschnitte aus Euthanasieprogrammen und Zitaten aus dem Buch eines zeitgenössischen Ethik-Professors in Princeton, die sich nur wenig unterscheiden. Und immer wieder mit wunderbarem Spiel.

Freilich: Den zu platten Normalos abgestempelten Ingolstädter Schauspielern Julia Maronde und Olaf Danner bleibt oft nicht mehr als die Stichwortgeberrolle in der Rahmenhandlung ("Haben Behinderte Sex"), nur als Minna von Barnhelm oder als Tennessee Williams’ Jim O’Connor können sie das gewohnte gute Können zeigen. Und auch Jan Dziobek im Rollstuhl muss allzu viel Energie für seine Plakativrolle des zornigen "Krüppels" verwenden, anstatt für gute Szenen wie seine Version des Shakespearschen Richard III.

Aber Jana Zöll, wie Dziobek an der Akademie ausgebildete Schauspielerin, reißt alle(s) heraus. Weil man nach zwei Minuten ihre kleinwüchsige Gestalt vergessen hat und nur noch die Figuren sieht, die sie abseits der Rahmenhandlung spielt – und die sind mitunter eben nicht oder nur sehr gering gehandicapt. Hervorragend: die kleine Einzelszene aus Taboris "Jubiläum". Zwei ewig gestrige alte Männer, die ihre gewohnte Parkbank am Rhein von einem behinderten Menschen besetzt finden, spielt Zöll da, rutscht schnell mittels Rollstuhldrehung von einer Figur in die nächste, lässt Taboris Worte delikat tönen: Das ist sensibles Spiel, hohe Präsenz, kommt auch im Verein mit den anderen drei Darstellern immer wieder vor – und vermittelt mit theatralen Mitteln mehr von der Komplexität des Themas als die gut gemeinte informative Rahmenhandlung, die Behinderte nur Behinderte spielen lässt.

Schön wäre es so gewesen: Vier Schauspieler, alle vier Profis, erarbeiten eine literarische Collage zum Thema "Behinderung". Und finden diese wunderbaren, sprechenden Szenen in den Büchern. Dass zwei aus diesem Team behindert sind, ist so Zufall, wie sie Peter und Petra heißen. Und ebenso wenig erwähnenswert.