Ingolstadt
Niemanden je vergessen

17.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:11 Uhr
Ingolstadt gedenkt der Toten des Zweiten Weltkriegs: Am Mittwoch enthüllten OB Christian Lösel und Reservist Wolfgang Christmann im Ehrenhain des Westfriedhofs zwei Erinnerungstafeln. Die Stadt Ingolstadt pflegt das Geschichtsbewusstsein gemeinsam mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Reservistenkameradschaft Ingolstadt. −Foto: Johannes Hauser

Ingolstadt (DK) Auf dem Westfriedhof fehlten bisher Gedenktafeln für die Toten des Zweiten Weltkriegs. Zum Volkstrauertag an diesem Sonntag wurde die Lücke geschlossen. Es wird auch an die am Auwaldsee exekutierten Soldaten erinnert.

Im "Totenmonat" November wird seit 1922 am vorletzten Sonntag der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge initiierte Volkstrauertag gefeiert. An diesem Tag gedenkt man in erster Linie der Millionen Toten der Weltkriege, doch mit zunehmendem Abstand soll dieser Tag auch ein Tag der Trauer und der Mahnung zur Versöhnung, zu Verständigung und Frieden sein. Auf nahezu allen Soldatenfriedhöfen Europas findet man entsprechende geschichtliche Hinweis- und Gedenktafeln - jedoch nicht im Ehrenhain des Ingolstädter Westfriedhofs. Daher hat die Reservistenkameradschaft der Stadt in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge zum Volkstrauertag an diesem Sonntag jene Lücke geschlossen.

In den Arkaden der Aussegnungshalle des Westfriedhofs wurden jetzt zwei von vier Erinnerungstafeln enthüllt. Die erste Gedenktafel informiert über das Schicksal der im Ehrenhain beigesetzten 306 von insgesamt 650 offiziellen Ingolstädter Bombenkriegsopfern. Es wird auch an die 75 Soldaten und Zwangsarbeiter erinnert, die auf dem Exekutionsplatz der Wehrmacht am Ingolstädter Auwaldsee hingerichtet wurden.

Nachdem das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis (WUG) in München - wo bis dahin die Todesstrafen vollstreckt wurden - im August 1944 von Bomben zerstört worden war, wurde die Haftanstalt kurzfristig in das Fort VIII nach Manching verlegt. In den feuchten und kalten Kasematten waren durchgehend etwa 20 bis 30 Gefangene untergebracht. Die meisten dieser Wehrmachtssoldaten hatten wegen kleinerer Vergehen nur kurze Haftstrafen mit anschließender "Frontbewährung" zu verbüßen. Doch für 63 deutsche Soldaten, neun Italiener, zwei russische Offiziere und einen polnischen Zwangsarbeiter war Manching die letzte Station ihres Lebens - sie warteten hier auf den Vollzug ihrer Todesstrafe.

Als Exekutionsort wurde der von der Öffentlichkeit abgeschottete Wehrmachts-Schießübungsplatz in einer aufgelassenen Kiesgrube am Ingolstädter Auwaldsee bestimmt. Die erste Vollstreckung fand dort am 24. August 1944 statt. Es starb Gustav Kaulitzki. Die letzten beiden Hinrichtungen - verurteilt waren Karl Mössel und Friedrich Weidinger - wurden noch kurz vor Kriegsende, am 21. April 1945, vollzogen. Insgesamt waren es 75 Soldaten, deren unterschiedliche Schicksale alle auf die gleiche tragische Weise standrechtlich mit "Tod durch Erschießen" endeten. Ihr Vergehen waren sogenannte Endphaseverbrechen wie "Fahnenflucht", "Wehrkraftzersetzung", "Feigheit vor dem Feinde" oder gar "Kriegspessimismus".

Um die Aufmerksamkeit von "Neugierigen" zu vermeiden, ließ das zuständige Wehrmachtskommando einen Tag vor jeder Hinrichtung den Richtplatz am Auwaldsee weiträumig absperren. Das Exekutionskommando bestand aus 25 Soldaten der Wehrmacht, die auf das vom Vollstreckungsrichter gegebene Kommando "Feuer" routinemäßig abdrückten. Die mit verbundenen Augen an einen Pfahl gefesselten Todeskandidaten sackten nach den Gewehrsalven zusammen. Daraufhin stellte ein Sanitätsoffizier den Tod fest. Die Leichen wurden teilweise ohne Sarg kurzerhand in einer Kiesgrube neben dem Schießübungsplatz verscharrt. Zwei Gefangene aus dem Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Manching mussten nach der Vollstreckung die Blutspuren auf dem Richtplatz und auf dem Richtpfahl beseitigen.

Nachdem US-Truppen am 26. April 1945 Ingolstadt eingenommen hatten und in der Stadt die Herrschaft antraten, wurde das gesamte Aktenmaterial über die Inhaftierten von deutschen Wehrmachtstruppen im Manchinger Militärgefängnis verbrannt. Die letzten 27 der verhängten Todesurteile wurden nicht mehr vollstreckt. Die Schrecken des Nationalsozialismus und des Krieges waren vorbei.

Am 2. November 1945 wurden auf Betreiben des Manchinger Pfarrers Otto Frey die sterblichen Überreste von 56 der 75 Hingerichteten in den Ehrenhain des Ingolstädter Westfriedhofs umgebettet. Jedes einzelne Grab bekam damals einen schlichten, eingelassenen Stein.

Weil wie erwähnt kurz vor der Kapitulation des Deutschen Reichs sämtliche Akten über die Delinquenten in Manching von zurückweichenden Wehrmachtstruppen eiligst verbrannt worden waren, konnten deren Angehörige den Versorgungsämtern keinen Nachweis über den Tod ihrer Familienmitglieder vorlegen. Damit stand ihnen keine Hinterbliebenenrente zu. Für die meisten Betroffenen begann nun ein sehr langer bürokratischer Weg. So wie im Fall des Soldaten Heinrich Schanz. Er wurde am 9. Januar 1945 wegen "Desertion und Zersetzung der Wehrkraft" hingerichtet. Sogar mehr als ein Jahrzent später war sein Fall von Amts wegen immer noch nicht abgeschlossen.