Ingolstadt
Nachrichten per Handzeichen

Gehörlose treffen sich, um Zeitungsartikel in Gebärdensprache übersetzt zu bekommen

13.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:02 Uhr

Nachrichten der Woche für Gehörlose: Ronja Kunze (l.) erklärt Karin Schneider und Ganna Foddis (r.) wichtige Ereignisse der vergangenen Tage anhand von Zeitungsartikeln in Gebärdensprache. Das Interesse der Frauen an dem Service des Gehörlosenzentrums an der Permoserstraße ist groß - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Die offene Behindertenarbeit im Gehörlosenzentrum in der Permoserstraße (GVIUS) bietet an jedem Dienstagnachmittag Hörbehinderten aus Ingolstadt und der Region die Gelegenheit, anhand von Artikeln, die in die Gebärdensprache übersetzt werden, über das Zeitgeschehen zu diskutieren.

Wo andere gerne einmal laut werden, wenn sie zum aktuellen Tagesgeschehen ihre Meinung äußern, bleibt es in der Gruppe von Ronja Kunze verhältnismäßig ruhig. Die Leiterin der offenen Behindertenarbeit im Gehörlosenzentrum in der Permoserstraße (GVIUS) trifft sich dort jeden Dienstagnachmittag mit Hörbehinderten, um mit ihnen wichtige Ereignisse aus der vergangenen Woche in der Gebärdensprache aufzuarbeiten. Als Grundlage hierfür dienen Zeitungsartikel, vorwiegend aus dem DK, die Kunze gesammelt und vor sich ausgebreitet hat. „Nachrichten der Woche“ nennt sich die bei den Betroffenen beliebte Veranstaltung. In den vergangenen Tagen gab es ein lokales Topthema: das Hochwasser in der Region.

„Gehörlose Menschen kennen nicht so viele Wörter wie hörende Menschen“, sagt Kunze. „Deshalb ist es wichtig, ihnen alles in Gebärdensprache zu übersetzen.“ Außer dem geringeren Wortschatz verfügen sie meist auch über weniger Kenntnisse in der Grammatik. „Viele Gehörlose lesen deshalb auch die ,Bild’-Zeitung, weil die auf vielen Fotos und wenig Text aufbaut.“ Das Interesse hörbehinderten Menschen, komplexe Nachrichteninhalte verstehen zu können, sei deshalb aber nicht weniger gering als beim „Normalleser“, ergänzt die Expertin, gerade bei Themen, die viel Hintergrundwissen erfordern, etwa dem NSU-Prozess in München oder der Drohnen-Debatte um Verteidigungsminister Thomas de Maizière – beides Ereignisse, die Schlagzeilen machen und deshalb bei den Gehörlosen auf den Tisch gekommen sind.

„Wisst ihr, wie hoch das Wasser war“, fragt Kunze beim Thema Überschwemmung in Gebärdensprache in die Runde. Die Blicke der Frauen und Männer haften aufmerksam an ihren Händen und an ihrer Mimik, damit sie ja kein wichtiges Detail verpassen. Es gibt Rückfragen, Meinungsäußerungen, und sogar kleinere Diskussionen untereinander entstehen.

Ob denn die Drohne nur angeschafft wurde, um andere Nationen damit zu beeindrucken, möchte eine Teilnehmerin wissen. Eine interessante, wenn auch erst einmal schwer zu klärende Frage. Kunze verspricht Antworten in der kommenden Woche. Bis dahin will sie sich noch intensiver mit dem Thema beschäftigen.

Eine eher kurze Nachricht löst bei der Gruppe ebenfalls viel Diskussion aus: Vom Thema „Hautkrebs-Screening für unter 35-Jährige“ kommen die Frauen und Männer auf das brisante Thema Brustkrebs und den Fall Angelina Jolie, die sich ihre Brüste prophylaktisch entfernen ließ. „Ob das denn die Krankenkasse bezahlt“, möchte Karin Schneider wissen. Danach gefragt, ob er denn auch die Fernsehnachrichten in Gebärdensprache verfolge, beschwert sich ein älterer Teilnehmer über die Qualität des Service für Hörbehinderte: Die Inhalte der Untertitel stimmen oft nicht mit dem überein, was gesagt werde, meint er. Auch bei den Nachrichten. Ronja Kunze zumindest kann bestätigen, dass Länder wie Schweden und die USA in der Untertitelung ihrer Sendungen den deutschen TV-Anstalten um einiges voraus seien: „Und das, obwohl Gehörlose seit Januar eine, wenn auch ermäßigte, Haushaltsabgabe bezahlen.“