Auf
Nachgereist

Frank Gerberts kriminalistische und anekdotenreiche Spurensuche zum Attentat von Sarajevo

04.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:23 Uhr

Auf eine ungewöhnliche Spurensuche hat sich der Journalist Frank Gerbert begeben. Er ist – so gut das 99 Jahre später noch möglich ist – auf derselben Strecke gereist wie der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand vom 23. bis 28. Juni 1914. Auf den Tag genau per Schiff und Eisenbahn. Beginnend im Schloss Chlum, das heute zum tschechischen Städtchen Chlum u Trebone gehört, das zu Franz Ferdinands Zeiten Teil der Donaumonarchie war und Chlumetz bei Wittingau hieß, bis nach Sarajevo.

Gerbert notiert und hält mit dem Fotoapparat fest, wie es heute aussieht, stellt diese Aufnahmen zeitgenössischen Schwarz-Weiß-Fotos gegenüber. Erstaunlich ist, wie viel von den Gebäuden und Plätzen erhalten oder wieder aufgebaut ist. Gerbert befragt die Menschen – zu den Stätten und den Ereignissen von 1914 – und erhält dabei so manch überraschende Antwort. Überraschend deshalb, weil diese Antworten ahnen lassen, wie es möglich sein konnte, dass im 20. Jahrhundert hier der Bosnien-Krieg toben konnte, der mehr als 100 000 Tote forderte. Die teils bis heute andauernde Unversöhnlichkeit der Volksgruppen begann vor 100 Jahren zu brodeln und ist letztlich bis heute nicht völlig gelöst, was in den Gesprächen und im Interview mit einem Historiker angerissen, aber nicht völlig erklärt wird. Das ist auch nicht das erklärte Ziel Gerberts. Er will die großen Linien aufzeigen, die das Heute mit den Ereignissen vor 100 Jahren verbinden. Das gelingt ihm auch gut, denn er hat in Archiven geforscht und zitiert die internationale Geschichtsschreibung.

Doch ist seine Spurensuche mehr: Einem Kriminalist gleich enthüllt er Privates über Franz Ferdinand, seinen Charakter, sein Familienleben, scheut sich nicht, Anekdoten einzubeziehen wie die Geschichte der weißen Gams, die Franz-Ferdinand im August 1913 erlegte. Das Tier ist im „Haus der Natur“ in Salzburg zu sehen. Der Aberglaube besagt, dass der Abschuss eines weißen Wildes Unglück bringe, der Jäger innerhalb der Jahresfrist eines unnatürlichen Todes sterbe. Gerbert zitiert auch den Thronfolger, der mit den Worten „Mir scheint, wir werden heut’ noch ein paar Kugerln bekommen“ den offenen Wagen besteigt und durch Sarajevo fährt.

Gerbert „würzt“ zwar so seine Spurensuche, rekonstruiert er auch akribisch genau den Tathergang selbst, fragt nach den Personenschützern, die das Thronfolgerpaar mit ihren Körpern vor den „Kugerln“ hätten bewahren sollen, und zählt die vielen Fehlentscheidungen auf. Am Ende, obwohl auch ihm es merkwürdig erscheint, dass das Fahrzeug mit dem Thronfolgerpaar stoppte, sodass der ungeübte Schütze Gavrilo Princip die tödlichen Schüsse abfeuern konnte. Gerbert kommt zu dem Schluss, dass vor 100 Jahren galt, dass „das Unwahrscheinlichste passiert“.

Gerberts Buch ist so unterhaltsam wie spannend und informativ, weil er den auch „Wüterich“ Genannten in seiner Zwiespältigkeit zeigt, zwar keineswegs ein Sympathieträger mit seinen cholerischen Ausbrüchen und Standesdünkeln. Doch ein Kriegstreiber war Franz Ferdinand nicht, setzte aber auf nicht funktionierende, symbolische diplomatische Gesten und spielte somit den „Falken“ in Europa in die Hände. Sein Tod war der Vorwand für das Schlachten des Ersten Weltkriegs.

Frank Gerbert: Endstation Sarajevo. Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand. Eine Spurensuche von Böhmen bis Bosnien. Verlag Kremayr & Scheriau, 205 Seiten, 22 Euro.