Nürnberg
Mit der Verschwendung soll bald Schluss sein

Rund 70000 Hektar hat die Metropolregion zwischen 2004 und 2018 an Agrarflächen eingebüßt

11.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:22 Uhr
Jeder Franke bräuchte rein rechnerisch eine Agrarfläche von 2000 Quadratmetern pro Jahr, um sich ausreichend mit Regionalschmankerln zu versorgen. Alleine für das Bauernbrot braucht es 170 Quadratmeter. −Foto: Pelke

Nürnberg - Flächen machen ständig Schlagzeilen.

Hier als frisches Bauland, dort als versiegelte Natur. Von einer neuen Seite will die Metropolregion Nürnberg den umkämpften Boden in den Blick nehmen. Unterstützung bekommen die 23 Landkreise und elf kreisfreien Städte von Umweltminister Thorsten Glauber (FW). Und auch die Wissenschaft will den fränkischen Rathäusern beim smarten Umgang mit den wertvollen Flächen helfen.

"Wollen wir wirklich überall dieselben Ortseingänge? " Mit dieser kritischen und rhetorisch geschickten Frage hat Umweltminister Thorsten Glauber (FW) die Tagung der Metropolregion Nürnberg zum Thema Flächenentwicklung und Regionalprodukte eröffnet, die als virtuelle Konferenz stattfand. Im Hinblick auf den grassierenden Flächenverbrauch im Freistaat hat Glauber die Entwicklung von klugen Wachstumsstrategien gefordert.

Genau dieses Ziel des nachhaltigen Flächenverbrauchs hat sich die Metropolregion Nürnberg neuerdings auf die Fahnen geschrieben. Damit sollen neben der Natur- und Kulturlandschaft auch die Produktion von regionalen Spezialitäten erhalten werden.

Mit Verweis auf das Wertschöpfungspotenzial der fränkischen Lebensmittelhersteller wollen die Franken diese Verknüpfung nicht nur als cleveren Marketing-Schachzug verstanden wissen. Mit Hilfe der Wissenschaft soll genau herausgefunden werden, wie landwirtschaftliche Flächen in Zukunft erhalten werden können, damit Braten, Kloß und Sauce weiterhin das regionale Gütesiegel tragen können. "Regionalsouveränität" nennt Otmar Seibert die bedrohte Fähigkeit der Franken, ihren kulinarischen Identitätsstifter vom Kellerbier bis zum Meerrettich vor der Haustür gedeihen zu lassen.

Der Agrarökonom aus Triesdorf hat ausgerechnet, dass jeder Franke rein rechnerisch eine Agrarfläche in Höhe von 1500 Quadratmeter pro Jahr und Durchschnittsesser zum Stillen des Appetits auf Regionalschmankerl benötigt. Allein für das beliebte Bauernbrot aus dem Holzofen müsse jeder Franke mit etwa 30 Quadratmeter rechnen. Die kulinarische Eigenständigkeit sei allerdings in Gefahr, warnt Seibert. Wenn sich der aktuelle Flächenfraß fortsetzt, würde die Metropolregion schon in der nächsten Dekade eine Agrarfläche von weiteren 50000 Hektar verlieren. Das entspricht der durchschnittlichen Anbaufläche von 30 Kommunen.

Um diesen meist irreversiblen Verlust zu verhindern, will die Region ein umfassendes Bewertungskonzept entwickeln. Damit die Bürgermeister in Zukunft nachhaltiger mit knappen Flächenressourcen umgehen, sollen auch Faktoren wie die Bedeutung für das Landschaftsbild oder die Herstellung von Regionalprodukten und nicht nur die Verkehrswerte in Verkaufsentscheidungen einfließen. "Wir dürfen Entscheidungen über Nutzungsänderungen von landwirtschaftlichen Flächen nicht allein dem freien Markt überlassen", ist sich Seibert sicher. Die Leistungen für das Gemeinwohl würden bei der Preisbildung momentan überhaupt nicht berücksichtigt, kritisiert der Experte.

Die Metropolregion will aufgrund der erzielten Forschungsergebnisse jetzt ein großräumiges Leitbild zur Flächenentwicklung mit einem System zum Flächenmonitoring entwickeln. "So wollen wir den Bestand an landwirtschaftlichen Flächen für die Herstellung von Regionalprodukten dauerhaft sichern," freut sich Hermann Ulm, Landrat des Landkreises Forchheim und Sprecher des zweijährigen Forschungsprojektes "ReProLa - Regionalproduktspezifisches Landmanagement" in der Metropolregion Nürnberg. Nur mit Hilfe von neuen Konzepten zum Flächenverbrauch könnte die "einmalige Vielfalt an Regionalprodukten" in Franken bewahrt werden. "Wenn wir unsere hohe Lebensqualität erhalten und Lebensmittelsouveränität für unsere Bürgerschaft wollen, dann brauchen wir gemeinsame Lösungen. "

Die Metropolregion Nürnberg ist flächenmäßig eine der größten deutschen Metropolregionen mit dem höchsten Anteil landwirtschaftlicher Fläche. Durch den Flächenverbrauch würden jedes Jahr rund 150 landwirtschaftliche Betriebe ihre Bewirtschaftungsgrundlage verlieren. Wenn landwirtschaftliche Flächen schrumpfen, verändern sich nicht nur Landschaftsbilder.

Auch das traditionelle Handwerk und die kulturelle Identität, die mit der Herstellung von typischen Lebensmitteln und Spezialitäten der Metropolregion verbunden ist, steht durch den Flächenfraß langfristig auf dem Spiel. Tobias Chilla, Geographieprofessor an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, hat die Bedeutung der Regionalprodukte für Arbeitsplätze und Wertschöpfung unter die Lupe genommen. Allein im produzierenden Ernährungsgewerbe seien in der Metropolregion rund 35000 Beschäftigte tätig. Genauso viele Menschen stünden im Lebensmittelhandwerk in Lohn und Brot.

Addiere man die Beschäftigten in Landwirtschaft und Gastronomie hinzu, mache die Branche mehr als fünf Prozent der Beschäftigten in der Metropolregion aus, rechnet Chilla vor. Besonders ökonomisch relevant für Franken sind übrigens die Brauereien, weil in der Bierbranche von den Mälzereien bis zur Hopfenverarbeitung die gesamte Wertschöpfungskette in der Region verortet ist.

Noch bestehe die Metropolregion zur Hälfte aus landwirtschaftlichen Flächen wie Äcker und Wiesen. Von den verlorenen 70000 Hektar seien "nur" 25 Prozent der Freiflächen für den Bau von Häusern, Plätzen und Straßen verwendet worden. Ein weiteres Viertel sei in Naturland ohne Landwirtschaft wie ökologische Ausgleichsflächen verwandelt worden. Ein weiteres Drittel sei vom Wald zurückerobert worden. Weitere 15 Prozent stünden als Bauerwartungsland vor einer ungewissen Zukunft.

Sorgen machen dem Professor zwei Entwicklungen. Erstens die rasante Geschwindigkeit des Flächenverbrauches. Zweitens die Neigung zur Flächenverschwendung in den ländlichen Regionen. Hier würden Bürgermeister besonders gerne mit günstigem Bauland um Häuslebauer und Gewerbetreibende werben.

Um das Bewusstsein für und das Wissen um die knappen Flächen zu stärken, will die Metropolregion ein System zum Flächen-Monitoring mit dem Ziel auf den Weg bringen, für jede Kommune ein individuelles Profil ihrer Flächennutzung zu erstellen. Wer seinen Flächenverbrauch genau im Blick hat, so die Hoffnung, wird vielleicht bewusster mit seinem Verbrauch umgehen.

HK

Nikolas Pelke