Rosenheim
Meterlanges Brot für den erstgeborenen Sohn

In einigen bayerischen Ortschaften lebt der Brauch des Weisertweckens noch – Auch Thema im neuen Wendelstein-Kalender

14.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:25 Uhr

Transportiert werden kann der Weisertwecken auf verschiedene Arten. In Frasdorf etwa legten die Veranstalter das Brot auf ein Brett, das sie unter dem Dach eines Holzwagens befestigten - Foto: Hötzelsperger

Rosenheim (DK) In Bayern gibt es einen jahrhundertealten Brauch, der in manchen Gegenden, vor allem im Chiemgau, noch praktiziert wird. Er heißt „zum Weisert gehen“. Dies geschieht mit einem Weisertwecken – ein Geschenk, das einer jungen Mutter von Mitgliedern eines örtlichen Vereins, Freunden, Kollegen oder Nachbarn zur Geburt des ersten Sohnes überbracht wird. Dabei handelt es sich um ein langes, zum Zopf geflochtenes Brot aus Weizenmehl. Einige Bäcker ersetzen die Außenenden auch mit jeweils einem Meter Nusszopf. „Das Besondere daran ist die Länge: Sie richtet sich nach dem Geburtsgewicht des Stammhalters“, erklärt Gisela Haußner, Brauchtumswartin im Donaugau-Trachtenverband und Mitglied im Eichstätter Trachtenverein.

Pro Pfund wird ein Meter Weisertwecken gebacken. Wer also bedenkt, dass ein durchschnittliches Neugeborenes 3500 Gramm wiegt und somit sieben Meter Backwerk entstehen muss, wird sich erst des Ausmaßes bewusst, das so ein Brot erreichen kann. Mit dem Weisertwecken ist der Wunsch verbunden, dass niemals das Brot im Haus der Familie ausgehen soll. Außerdem soll sich Gottes Segen auf den neuen Erdenbürger legen. „Den Wecken bekommt allerdings nur der erste Sohn“, sagt Haußner. Eine ältere Schwester und/oder ein jüngerer Bruder gehen – wenn man die alte Regel ganz genau nimmt – leer aus.

Das Wort Weisert oder Weisat hat dem Bayerischen Trachtenverband zufolge seinen Ursprung im althochdeutschen Wort wisod, das so viel bedeutet wie Geschenk. Es ist verwandt mit dem Brauch des Weisens, also dem Beschenken zu bestimmten Anlässen.

Nach dem Backen wird der Wecken mit Zweigen und Schleifen geschmückt und zum Transport auf eine Leiter oder auf stabile Bretter gelegt. Oft wird auch noch eine Schnur mit Sachen für das Kind – also Strampler, Socken und Spielzeug – daran befestigt. Das Gebilde kommt dann auf einen Holzwagen, der von Pferden oder einem Traktor durch das Dorf gezogen wird. Manchmal tragen mehrere Männer das Brot auch einfach und häufig begleiten Musikanten den Zug. Unabdingbar ist ein Maßband oder Meterstab, damit Engstellen und Kurven ausgemessen werden können. Der ein oder andere Schnaps auf dem Weg macht den Helfern die Anstrengung erträglicher.

Bei der Ankunft wird zunächst ein Gedicht aufgesagt und die Eltern dürfen den Wecken anbeißen. Danach wird er von außen durch das Fenster oder den Balkon in das Kinderzimmer gehoben. Er muss komplett im Haus verschwunden sein, um wirklich Glück zu bringen. Zur Belohnung gibt es am Ende eine Brotzeit, meist Gulasch oder Chi|li con Carne, in die das gebrachte Brot eingetunkt werden kann. Kaffee und Kuchen – oder eben Nusszopf – gibt es später auch noch.

„Zum Weisert gehen“ ist also „ein fröhliches Beisammensein, bei dem die Geburt des Stammhalters gefeiert wird“, fasst es Brauchtumswartin Gisela Haußner zusammen. „Und wie bei den meisten Feiern geht es auch hier vor allem ums Essen und Trinken“, fügt sie lachend hinzu.