München
Metaphysisches, Tiere und Organe

Kiki Smith hat der Pinakothek der Moderne 800 Werke überlassen - Nun zeigt das Haus Bilder der Künstlerin

06.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:09 Uhr
Joachim Goetz
Eines von insgesamt 800 Blättern: Für Pool of Tears II vergrößerte Kiki Smith eine Zeichnung von Lewis Carroll. Die Künstlerin hat der Staatlichen Graphischen Sammlung München ihr gesamtes druckgrafisches ?uvre überlassen. −Foto: Kiki Smith, courtesy Pace Gallery

München (DK) Warum München, warum Bayern?

Die amerikanische Künstlerlegende Kiki Smith hat der Staatlichen Graphischen Sammlung - wenn man alles zusammenrechnet - 800 faszinierende Blätter geschenkt. Ihr gesamtes in Auflage erschienenes druckgrafisches ?uvre: Einzelblätter, Serien, Künstlerbücher. Und überlässt der Institution von jeder zukünftigen Auflage auch noch ein Exemplar. Echt generös.

Artig bedankt sich das Haus mit der Ausstellung "Touch. Prints by Kiki Smith". Zeigt eine Auswahl von 160 Werken in der Pinakothek der Moderne - und damit einen faszinierenden Einblick in das druckgrafische Schaffen der Künstlerin von 1985 bis heute. Samt opulentem Katalog.

Nach dem Grund für ihre Großzügigkeit gefragt, sagt die Künstlerin lapidar: Weil sie gerne in München ist. Hier am meisten Zeit von allen Städten in Europa verbringt. Wofür es freilich ziemlich handfeste Gründe gibt. Mit der Mayerschen Hofkunstanstalt hat sie viele ihrer plastischen Werke realisiert. Mit Barbara Gross wirkt ihre langjährige Galeristin hier. Und die zahlreichen Ausstellungen amerikanischer Künstler, die man in der Grafischen Sammlung über die Jahre sehen konnte, faszinierten sie ebenfalls.

Was auch noch eine Rolle spielt: Sie fühlt sich dem Freistaat von Geburt an verbunden. Sie könnte schließlich Fränkin sein, wurde 1954 in Nürnberg geboren - als sich ihre Eltern, die Opernsängerin und Schauspielerin Jane Smith und der aufstrebende Architekt und später als Maler und Bildhauer international bekannte Tony Smith, im Rahmen eines Engagements der Mutter in Europa aufhielten.

Aufgewachsen ist sie aber in South Orange, New Jersey und lebt seit 1976 auf der anderen Seite des Hudson River nebendran in New York. Dort hat sie sich künstlerisch sozialisiert, Bayerisches fehlt da völlig.

Inspiriert wurde sie durch Minimal Art, Pop Art oder Performance- oder Film-Kunst. Was sie aber draus machte, ist einzigartig, international viel beachtet und hat mit dem Dasein des Menschen zu tun. Dabei geht sie radikal zur Sache. Seit den 80er-Jahren untersucht sie den menschlichen Körper - teils schockierend direkt. Sie stellt Körpersäfte, Verdauungsorgane, Geschlechtsteile, Exkremente dar, interessiert sich für die verborgenen Funktionen des menschlichen Körpers, den sie sozusagen von innen nach außen wendet. Nieren verwandeln als Kartoffeldruck mit Blattgold-Applikationen Nepalpapier in Kunst. Eine Art Selbstporträt mit dem Titel "Kiki Smith 1993" zeigt so etwas wie die Abwicklung des menschlichen Verdauungsapparats auf Japanpapier - von der Zunge bis zum Darmausgang. Diese Werke - auch "Endocrinology" 1997 zählt dazu - dienen Kiki Smith nicht nur zur Selbstvergewisserung. Sie stellt die Frage nach jenen elementaren körperlichen Funktionen, die wir alle so gekonnt verdrängen oder in die Hände anderer geben (müssen).

Ende der 90er-Jahre erweitert Smith ihre Motivpalette um Metaphysisches, Tiere und Märchen - wobei sich das ja alles durchdringt. Ein riesiger unter einem Eispanzer verborgener Ozean auf dem Jupitermond "Europa" regt ihre Fantasie ebenso an wie Monde und Sterne oder präparierte Tiere wie Affen, Vögel, Katzen.

In der in vier Kapitel gegliederten Ausstellung kommt es ganz am Anfang, das von Kiki Smith immer wieder illustrierte Thema "Tod" . Für das gezeigte Mappenwerk "Mortal", das 2007 den Sterbeprozess ihrer Mutter im St. Vincent's Hospital in Manhattan aufgreift, schuf sie eindrucksvolle Zeichnungen und Fotografien. Faszinierend wie sie es schafft, den Übergang vom Leben zum Tod - und zugleich unsere gesellschaftliche Tabuisierung des Alterns und Sterbens in ästhetische Bilder zu bannen.

Pinakothek der Moderne, München bis 26. Mai, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 und Donnerstag bis 20 Uhr. Es gibt einen umfangreichen Katalog, erschienen beim Verlag Walther König, 58 Euro.

Joachim Goetz