Havanna
Meister der Improvisation

Weil es auf Kuba für Autos kaum Ersatzteile gibt, ist Kreativität gefragt Mechaniker Jorge Luis Hernandez hat sich auf US-Klassiker spezialisiert

03.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:43 Uhr

Jorge Luis Hernandez repariert auf Kuba US-Autos aus den 1950er-Jahren. Dabei muss der 54-Jährige viel improvisieren. - Foto: Oppenheimer

Havanna (DK) "El Loco" nennen sie ihn - den "Verrückten". Vermutlich hat Mechaniker Jorge Luis Hernandez diesen Spitznamen, weil er ziemlich verrückte Problemlösungen austüftelt. Denn Ersatzteile für Autos sind im sozialistischen Kuba Mangelware.

Der 54-Jährige repariert und restauriert nicht irgendwelche Fahrzeuge: "Nur amerikanische Klassiker", sagt der sonnengegerbte Schrauber. US-Autos aus den 50er-Jahren, davon gibt es in Havanna und Umgebung nicht zu wenige: etwa die Chevrolet-Modelle Bel Air und Impala, den Fairlane von Ford oder die Super-Reihe von Buick.

Während manche Oldtimer liebevoll gepflegt wurden, sind andere in einem Zustand, bei dessen Anblick deutsche TÜV-Prüfer augenblicklich kollabieren würden. Die Autos bestehen oft mehr aus Spachtelmasse als aus Blech. Die Motoren am Laufen zu halten, wird immer schwieriger: denn aktuelle Modelle haben Elektronik an Bord - und damit können Oldtimer leider nichts anfangen.

Zum Glück gibt es aber Improvisationskünstler wie Hernandez. Sein Motto: "Was nicht passt, wird passend gemacht." Denn meist passt überhaupt nichts zusammen. Unter der Motorhaube der Straßenkreuzer finden sich nur selten die originalen V8-Benzinmotoren. Stattdessen pflanzen die Kubaner ihnen Vier- oder Fünfzylinder-Dieselmotoren ein. Dabei handelt es sich unter anderem um Mercedes-Motoren, die in Asien in Lizenz gefertigt werden. Ein Aggregat, das samt angeschlossenem Getriebe in Jorges Werkstatt steht, ist beispielsweise vom koreanischen Autobauer Ssanyong.

Die Antwort auf die Frage, warum fast alle Kubaner die Motoren tauschen, beantwortet Hernandez sehr knapp. "Aus wirtschaftlichen Gründen." Die Diesel-Motoren sind wesentlich sparsamer. Umweltaspekte sind in dem sozialistischen Staat eher ein Randthema. Wer die tiefschwarzen Wolken sieht, die kurz nach dem Anlassen aus so manchem Auspuff aufsteigen, weiß, dass die Luft in einer Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt wie Havanna alles andere als gesund ist.

Die Werkstatt von Hernandez ist eigentlich nicht viel mehr als ein Wellblechverschlag hinter seinem Haus. Und die Ersatzteile, die hier herumliegen, findet man bei uns heute vermutlich nicht mal mehr auf dem Schrottplatz. Trotzdem: Man sieht dem 54-Jährigen an, dass er stolz ist auf das, was er geschaffen hat. Weil er nur mit der Kraft der eigenen Hände quasi aus Nichts etwas zaubert. "Wir haben keine andere Wahl", sagt er. "Sonst verlieren wir diesen Schatz."

Auch wenn sich Kuba weiter öffnen sollte - Hernandez glaubt nicht daran, dass Amerikaner die Oldtimer kaufen werden. "In den USA werden diese Autos verschrottet", sagt der Kubaner. Wieso also um alles in der Welt sollten sie diese Autos wieder haben wollen? Er glaubt viel eher, dass Europäer zugreifen werden.

Weggeworfen wird bei "El Loco" nichts. Schließlich könnte man es ja irgendwann einmal wieder brauchen. Der Schrauber denkt natürlich auch an die Zukunft. Die ausgebauten Aggregate werden sicher verwahrt. "Vielleicht wollen die Besitzer ja eines Tages wieder den Originalmotor haben", sagt Hernandez. Das klingt eigentlich gar nicht verrückt.