Krasnaja
Mayers Flirt mit dem Risiko

Der Österreicher jubelt über sein überraschendes Gold in der Abfahrt

09.02.2014 | Stand 02.12.2020, 23:06 Uhr

Krasnaja Poljana (DK) Matthias Mayer ist etwas überraschend Abfahrts-Olympiasieger. Der österreichische Skirennfahrer gewann die alpine Königsdisziplin bei den Winterspielen von Sotschi vor dem Italiener Christof Innerhofer und Kjetil Jansrud (Norwegen).

Weil ausgerechnet in diesem einzigartigen Moment kein Liebgewonnener in der Nähe steht, küsst Matthias Mayer seine Ski. Ein Ausdruck schierer Dankbarkeit. Jetzt muss sie raus. Jetzt ist dem 23-Jährigen bewusst, er ist Abfahrts-Olympiasieger. Ein Titel ohne Verfallsdatum, ein Gold für die Ewigkeit. Die höchste Alpin-Ehre – besonders in Österreich. „Unglaublich, das ist das Größte, ist das cool“, sagt der Kärntner. Ein Überraschungssieger ist dieser Mayer. Zwar hat er sich in den Trainingseinheiten prächtig geschlagen, in seinen 24 Abfahrtsrennen im Weltcup zuvor ist er aber noch nie auf dem Podest gestanden.

Doch: Abfahrer sind allesamt Siegertypen. Nicht nur, weil sie die Schnellsten ihrer Szene sind. Ihr Flirt mit dem Risiko fasziniert die alpinen Skifreunde. In Rosa Khutor, dem extrem schwierigen olympischen Gelände, sind die Profis bis zu 80 Meter weit über die gefürchteten Sprunghügel geflogen – mit der immer gleichen Herausforderung: So aerodynamisch wie nur irgend möglich auf der Ideallinie Richtung Ziel zu rasen. Die höchste Präzision im Kampf gegen die Uhr ist Mayer dank seiner brillanten technischen Fähigkeiten geglückt.

Der Mann vom SC Gerlitzen setzte seine Vision von der optimalen Fahrt am effektivsten um, indem er ein Tempo erreichte, das selbst die empfohlene Richtgeschwindigkeit auf Österreichs Autobahnen überschreitet. Hundertstelsekunden entscheiden über Gold, Medaille oder abgeschlagen. Die Feierstunde für Matthias Mayer, dessen Papa Helmut 1988 in Calgary olympisches Silber im Super-G gewonnen hat, beginnt. Der Südtiroler Christof Innerhofer, der sich hinter einer Bande diebisch über Silber freut, und Kjetil Jansrud aus Norwegen (Bronze) gratulieren fair.

Die Abfahrer haben es ordentlich krachen lassen, diese bulligen Hasardeure sind Teufelskerle, haben auf ihren 3495 Metern scheinbar keine Vernunft gekannt. Das Wort Angst mögen sie alle nicht. Sie ist ein denkbar schlechter Ratgeber. Zugeben, dass sie Bammel haben, das tun die Besten bestenfalls nach ihrer Karriere. Denn: Nicht die Piste von Rosa Khutor mit ihren 1075 Höhenmetern ist gefährlich, sondern die Selbstzweifel sind es.

Aksel Lund Svindal, als Vierter einer der geschlagenen Favoriten, hat über die Abfahrt gesagt: „Sie ist nicht einfach. Ich habe keine Angst, aber Respekt – und den sollte ich auch haben.“ Sein Landsmann Jansrud meinte: „Da brauchst du schon viel Mut. Hier fährst du vom Start bis zum Ziel volles Tempo, es geht brutal dahin. Ich bin froh, dass ich fertig bin.“ Fertig ist Bode Miller. Seine tiefe Enttäuschung versteckt der 36-Jährige hinter der dunklen Sonnenbrille, Trost sucht er bei Ehefrau Morgan. Zuvor hockte er belämmert im Zelt und trauerte.

Der Amerikaner lotet stets die Grenzen aus, mit seiner wilden, unkonventionellen Fahrweise hat er sie häufig verschoben. Miller hat mal gesagt: „Wer gewinnen will, darf nicht wie ein Skilehrer den Hang runterfiedeln. Ich fahre am Limit, weil alle anderen auch am Limit fahren.“ Gestern in Rosa Khutor hat er zu viel Zeit im Mittelabschnitt verloren – und danach die gute Laune.

Matthias Mayer und seine Kollegen sind Malocher. Sie treiben ihren Puls auf bis zu 200 Schläge in der Minute, riskieren ihre Gesundheit. Schwer gestürzt ist gestern glücklicherweise keiner – und doch gehen sie bei jeder Fahrt aufs Neue ein Risiko ein. Fehler haben mitunter fatale Folgen, zwischen der schnellsten Linie und der Katastrophe liegen oft nur ein paar Zentimeter. Selbst Belastungen, die mehr als dem 50-Fachen ihres Gewichtes entsprechen, trotzen sie, um im Zielraum gefeiert oder bemitleidet zu werden.

Ihr Körper ist ihre Knautschzone, die Protektoren am Rücken, Ober- wie Unterarm, die Verstärkungen im Hüftbereich des dünnen, aalglatten Rennanzuges sind der einzige Schutz. Die Ersten tragen Präventhesen, deren Aufgabe ist es, die Stabilität im Kniegelenk zu erhöhen. Wehwehchen haben sie alle, diese harten Hunde, weil sie ihren Leibern alles abverlangen. Ihre Oberschenkel brennen, und selbst Olympiasieger Matthias Mayer gibt unumwunden zu, „dass mir die Lunge wie Hölle gebrannt hat“.