Ingolstadt
Margarinefiguren aus Plastik

Mit rund einer halben Million Exemplare besitzt Helmut Bitsch eine der größten Sammlungen Deutschlands

20.12.2020 | Stand 24.12.2020, 3:33 Uhr
Selbst ganze Krippen werden mit Margarinefiguren gebildet. Einige Exemplare wollte Helmut Bitsch (unten rechts) heuer beim Krippenweg ausstellen, der wegen Corona jedoch ausfällt. Eine halbe Million besitzt er insgesamt, im Keller ausgestellt ist nur ein kleiner Teil. Zu den gefragtesten Figuren zählen unter anderem die Weltraumserien von 1952, WM-Fußballer oder die "Russenschaukeln", wie Riesenräder früher genannt wurden. Sehr begehrt sind übrigens auch Kleinteile und Verpackungen. −Foto: Pehl

Ingolstadt/Manching - Als Helmut Bitsch die Sammelleidenschaft packte, war die große Zeit für sein Hobby eigentlich schon vorbei.

"Das war Anfang der 70er-Jahre auf einem Flohmarkt in Riedenburg", erzählt der 74-Jährige. Damals entdeckte er eine kleine Kiste voller Plastikfiguren. "Das hat mich an meine Kindheit erinnert", erzählt der ehemalige Berufssoldat, der wie auch seine Frau vom Kaiserstuhl stammt. Wenn er damals zum Einkaufen gegangen ist, hat er immer eine solche Figur als Geschenk bekommen. "Das war unser Spielzeug", weiß er noch wie heute - die Familie war nicht gerade begütert und konnte sich nicht so viel leisten.

Mit der Kiste vom Riedenburger Flohmarkt fing alles an. "Anfangs hab' ich noch gar nicht so richtig gesammelt", erinnert er sich. Doch irgendwann hat es ihn dann wirklich gepackt, die kleinen Figuren aus Polystyrol wurden seine große Leidenschaft. Jahrzehntelang besuchten er und seine Frau Flohmärkte und Börsen, kauften Nachlässe, trafen sich mit anderen Sammlern und gingen gezielt Hinweisen auf Geschäftsaufgaben nach, bis dann natürlich Ebay dazukam. Das Ergebnis von fast einem halben Jahrhundert Sammeln nimmt heute den gesamten Keller und ein Zimmer im Haus des Ehepaars Bitsch ein - obwohl die meisten der Margarinefiguren recht klein sind. Aber die Masse macht es eben auch hier: Bitsch schätzt seine Sammlung auf rund eine halbe Million Figuren.

Helmut Bitsch dürfte damit die größte oder eine der größten Sammlungen Deutschlands sein Eigen nennen. Dabei ist die Szene durchaus überschaubar. "In Deutschland dürfte es rund 100 richtige Sammler geben", schätzt er, von denen fünf oder sechs dies so intensiv betreiben wie er. Man kennt sich untereinander, mit vielen tauscht er sich aus und man hilft sich meist auch gegenseitig weiter. Wobei es sich bei den Margarinefiguren ähnlich verhält wie auf vielen anderen Gebieten: "Unser Problem ist die Überalterung", erzählt er. Manch betagte Sammler hören auf, aber Jüngere kommen kaum nach.

Bitsch selber ist auf der Suche nach Figuren aus aller Welt, in der letzten Zeit hat sich Frankreich zu einem gewissen Schwerpunkt entwickelt. Dabei gelingt es ihm trotz der enormen Anzahl, den Überblick zu behalten. "Ich kenne jede Figur, die ich habe", sagt er. Vollständig ist seine Sammlung dennoch nicht, zumal immer wieder neue Figuren auftauchen und bei manchen Stücken die Zuordnung schwierig und noch ungeklärt ist.

Margarinefiguren sind ein Stück weit deutsche Wirtschaftswunder-Nachkriegsgeschichte. Die Entwicklung des Spritzgusses in den 30er-Jahren ermöglichte die schnelle Herstellung tausender Figuren. Schnell avancierten sie zum Werbeträger: Vor allem Margarinehersteller (daher der Name), aber auch die Produzenten von Kaffee, Tee, Haferflocken oder Schuhcreme verteilten die kleinen Figuren , um Kunden an sich zu binden. Doch im Abkommen von Detmold einigten sich die Margarinehersteller, diese Zugaben einzustellen: Es war zu teuer geworden. Schon 1954 war die große Zeit, die 1950 begonnen hatte, in Deutschland vorbei. Einige Produktionsmaschinen kamen jedoch später im Ausland zum Einsatz.

Als Bitsch das Sammeln anfing, gab es zwar erste Kataloge, worin aber nur die Figuren abgebildet waren - weitere Informationen fehlten fast ganz. Mit der Aufarbeitung der Firmengeschichten - an die 100 Unternehmen dürften seinerzeit produziert haben - betrat Bitsch Neuland. Er blätterte in alten Zeitungen und Zeitschriften, und wo immer er alte Ausgaben ergattern konnte, ging er sie minuziös durch in der Suche nach Reklame. Denn Anzeigen sind eine seiner wichtigsten Quellen.

Das Problem: "Viele Firmen haben kein Archiv mehr", bedauert Bitsch. Manche wurden verkauft und wechselten den Namen, andere hörten auf. Außerdem muss man unterscheiden zwischen den Unternehmen, die die Margarinefiguren hergestellt und denjenigen, die sie ausgegeben haben. Mit einer bis heute anhaltenden, bewundernswerten Akribie, Ausdauer und einer Portion Glück erforscht Bitsch dieses Stück Wirtschaftsgeschichte. "Ich wollte wissen, was dahintersteckt", sagt er. Ausfluss seiner Arbeit sind mehrere dicke Kataloge, unzählige Originalunterlagen von Firmen und die Internetseite www. margarinefiguren. de.

Aus der ganzen Welt sind darin Margarinefiguren verzeichnet - nur Ingolstadt und die Region fehlen. "Da gibt es kaum Informationen", bedauert Helmut Bitsch dieses Defizit. Selbst gezielte Nachfragen bei alten Läden brachten nichts Neues. Umso interessierter ist Bitsch an Informationen. Generell lautet sein Angebot: Wer selber solche Margarinefiguren zuhause hat, wer sie kaufen, verkaufen oder nur mal begutachten will, kann sich unter Telefon (08459) 6361 an ihn wenden. Bitsch gilt als einer der Fachleute schlechthin, wenn es um Margarinefiguren geht. Er arbeitet mit diversen deutschen Museen zusammen, die schon Interesse an seiner riesigen Sammlung bekundet haben.

DK