Malen nach Zahlen

22.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:39 Uhr

Präzisionsarbeit: Neda und ihre Freundin Sissi brauchen bei so viel geraden Linien eine sichere Hand - Foto: Hermann

Ingolstadt (DK) Ein dunkler Schacht zieht den Blick des Betrachters auf sich, dicke schwarze Linien weisen bedrohlich in die Tiefe. "Man soll bei dem Bild das Gefühl haben, dass man fällt", erklärt Neda. Die 18-jährige Bulgarierin ist eine von 13 Jugendlichen aus verschiedenen Ländern, die die Wände des Existenzgründerzentrums (EGZ) im Gewerbegebiet Nordost mit ihren Kunstwerken verschönern.

Das vom Stadtjugendring Ingolstadt, dem Existenzgründerzentrum und dem Museum für Konkrete Kunst (MKK) organisierte Projekt findet zum zweiten Mal statt, alle 17- bis 25-jährigen Teilnehmer sind dieses Jahr Frauen. Die Ausschreibung des Workshops lief über die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (IJGD). Den meisten war der Begriff Konkrete Kunst vor der Anreise Anfang August noch völlig fremd, Vorträge und Präsentationen im MKK sollten zunächst ein Verständnis für diesen Stil vermitteln. Im Anschluss wurden eigene Entwürfe erstellt und diskutiert. "Diese Workshops waren sehr hilfreich", sagt Neda. "Der Stil hat auf mich zu Beginn sehr emotionslos gewirkt, aber jetzt verstehe ich die Absichen der Künstler viel besser ."

Hinter den Bildern steckt nämlich oft mehr, als man vermutet: "Mein Bild ist nach einer Formel aufgebaut", erklärt Sara (20). Die Medizinstudentin aus Valencia hat die Jahreszahl 2008 als Grundlage genommen. Jede Ziffer von links nach rechts wird erst halbiert, dann mit zwei addiert. Das Ergebnis ist das Radiusverhältnis der vier roten Kreise oben auf dem Bild. Der Abstand der grünen Linien auf ihrem Werk sei sogar noch etwas komplizierter.

Sieben Bilder waren für die vier Gänge im Untergeschoss des EGZ vorgesehen. Da die 13 Malerinnen schneller vorankamen als geplant, kommen jetzt noch sechs weitere hinzu. Gemalt wird fünf Stunden am Tag, die Unterbringung der Teilnehmer übernimmt das Christoph-Scheiner-Gymnasium.

An den Wochenenden haben die 13 jungen Frauen die Gelegenheit, Ingolstadt zu erkunden oder auch andere Städte zu besichtigen. "Die Völkerverständigung ist bei uns eine wichtige Säule", sagt Gerhard Krassler vom Stadtjugendring. Es freue ihn sehr, dass er den Teilnehmerinnen eine schöne Zeit ermöglichen und dass alle wertvolle Erfahrungen machen könnten.

"Kunst verbindet", meint Norbert Forster, Geschäftsführer des EGZ. Neben dem kulturellem Austausch begrüßt er auch die Verschönerung des Untergeschosses. "Die Gänge sehen so viel lebendiger aus."

Während ihres Aufenthaltes in Deutschland gehen für einige Teilnehmerinnen sogar kleine Träume in Erfüllung: "Ich liebe Schlösser", schwärmt Olga (21), "Sie erinnern mich an Märchen aus meiner Kindheit". Dieses Wochenende habe sie endlich die Gelegenheit, Neuschwanstein zu besuchen. Das Schloss kenne sie bisher nur aus Bildern und aus einem riesigen Puzzle, das wochenlang neben ihrem Bett lag.