Letztes Bollwerk gegen das Brauereisterben

07.06.2012 | Stand 03.12.2020, 1:24 Uhr

Braumeister Florian Linder trägt ein Holzfass bei Schlossfest durch die jubelnden Massen.

Neuburg (DK) Bier ist in Bayern ein Kulturgut – wenn auch manchmal ein gefährliches. In einer neunteiligen Serie erzählen wir Geschichten aus der Region vom Bier, vom Brauwesen und von Menschen, die damit zu tun haben. Die heutige Folge erzählt von einer kleinen Brauerei, die sich im Haifischbecken der Großen gehalten hat: Der Juliusbräu in Neuburg.

Die Abfüllanlage schnaubt wie ein Rennpferd in vollem Galopp. Dumpfes Grollen dröhnt aus dem Nebenraum, wo der Verdampfer flüssige Kohlensäure zu Gas erhitzt. Ein süßer Malzgeruch liegt in der Luft. Unzählige langhalsige Flaschen tanzen übers Fließband, füllen sich mit rostbraunem Saft, bekommen goldene Kronen aufgesetzt und klirren, als würde die Blaskapelle im Festzelt zum Prosit aufspielen. Es ist Dienstagvormittag: Hochbetrieb bei Julius – der einzigen von einst 14 Neuburger Brauereien, die bis heute Bestand hat.

3000 Hektoliter fließen jährlich durch ihre Rohre. Ihre Zylinder zischen wie zum Trotz. Und ein wenig Trotz ist sicher dabei, in der heutigen Folge unserer Biergeschichten.

Denn sie erzählen diesmal von einer Neuburgerin, die mit ihrem kleinen Betrieb dem Brauereisterben der zurückliegenden hundert Jahre immer noch trotzt. „Wir haben nur überlebt, weil die Familie zusammengeholfen hat“, erzählt Gabriele Bauer, die Inhaberin des Neuburger Juliusbräu: „Wir alle sind auch am Wochenende dagewesen.“ Die 55-Jährige sagt das mit ernster Miene. Und der Zuhörer spürt, wie viel Arbeit es gekostet hat, das Familienunternehmen am Laufen zu halten.

Mit neun Jahren durfte Gabriele Bauer zum ersten Mal einen Schluck aus einem der großen Krüge probieren. „Der Vater hat nichts groß erklärt“, erinnert sie sich. Die Kinder lernten das Handwerk, weil sie mit anpacken mussten. Wenn die Neuburgerin an die alten Zeiten denkt, fällt ihr als erstes ihre Oma, Anna Bauer, ein.

„Das war eine kräftige Frau. In ganz Neuburg bekannt. Die Leute sind zu uns in die Wirtschaft gekommen und wollten ihre großen Krüge immer nur dreiviertel voll haben. Aber sie haben immer einen vollen Krug bekommen, obwohl sie nur drei Viertel zahlen mussten. “Nach dem Krieg waren die Menschen arm – und auch Julius-Bräu war nicht verschont geblieben.

Bomben der Alliierten beschädigten im Zweiten Weltkrieg das Brauereigebäude so schwer, dass es sich nicht mehr lohnte, es wieder vollständig aufzubauen. 1950 wagte Julius Bauer daher den großen Schritt und errichtete das große Brauhaus an der Augsburger Straße – ein Bollwerk gegen das Brauereisterben,das Marke um Marke verschwinden ließ.

In Neuburg wird das besonders deutlich: Als Gabriele Bauers Ururgroßvater Moritz Bauer 1828 am Neuwirtgelände in der Innenstadt das erste Fass füllte, war die städtische Bierkultur noch reich an Marken. Fuchs, Six, Kreuz, Kugler und Kieferl: 14 Brauhäuser verarbeiteten das schnell und ungezähmt fließende Donauwasser zu Gerstensaft.Im ganzen Landkreis fand man Dorfbrauereien, von Zett in Ehekirchen bis Moy in Rennertshofen.

Lange Zeit waren laut Stadtführer Herwig Wanzl die Jesuitenmönche die Herren des Neuburger Biers, denn nur sie hatten vom Kurfürsten das Privileg bekommen, helles Weizen zu brauen. 1773 wurde der Orden vorübergehend aufgelöst, die Neuhof-Brauerei in private Hände gelegt. Erst 2001 endete diese Tradition, Neuhof schenkte Eichstätter Hofmühl aus und im ganzen Landkreis blieb nur Julius übrig.

Heute hat die Brauerei die heimischen Feste fest im Griff. Die Buchstaben J und B finden sich auf den Fässern, die der Oberbürgermeister am Volksfest ansticht, genauso wie auf den altertümlichen Krügen, aus denen die in Renaissance-Gewänder gehüllten Schlossfestbesucher ihre Kehlen schmieren.

Braumeister Florian Linder schleppt dafür alle zwei Jahre ein kleines Eichenfass durch die von tausenden Besuchern gesäumten Straßen und Gassen hinauf in den historischen Trubel und stemmt es über seinen Kopf, während ihn das Volk mit „Vivat Neuburg“-Rufen feiert. Linder wacht seit neun Jahren über die Gärbottiche im Herzen der Julius-Brauerei. „Man merkt bei ihm einfach, dass er das Bier mag, dass es bei ihm was wird“, lobt die Chefin.

Und der 31-Jährige setzt auf Bodenständigkeit. Trends, wie geschmacksverstärkte Modebiere, haben bei ihm keine Chance. „Wir wollen natürliche Konservierungsstoffe, vom Rohstoff bis zum Glas“, sagt Linder. „Unser Bier muss leben.“ Die Zutaten stammen allesamt aus der Region. „Unser Julius könnten wir nicht in Ingolstadt brauen“, sagt die Chefin. Der Geschmack sei von vielen Dingen abhängig, vom Gärbottich bis zur Abfüllanlage. Viele Neuburger Gaumen freut’s.

Alle paar Minuten fährt ein Auto vor die große Rampe und lädt Kästen oder Fässer. „Ich wohne gleich um die Ecke und komme immer hierher, weil’s einfach überragend schmeckt“, erzählt Ron Gläser, einen Kasten „San Cucino“ in den Händen. Und Bierfahrer Oskar Koppold nickt wissend: „Die meisten wollen das Heiligbier, so nennen sie das. Manchmal klauen sie mir das schon vom Wagen runter“, erzählt er.„ Wenn Du das Heiligbier klaust, kommst aber nicht in den Himmel“, antworte er seinen Kunden, deren leere Kästen er auch einfach gegen volle tauscht, wenn sie vor die Tür gestellt werden.

An der Abfüllanlage ist nun das dunkle Jubiläumsbier an der Reihe. „Sortenwechsel“, brüllt Braumeister Linder, und ein letztes Schnauben fährt aus der Maschine. Simon Brecheisen legt neue Etikettenstapel in die Schatulle. Seit 45 Jahren ist er dabei. Macht er die Arbeit gerne? „Hier verdurstet niemand“, antwortet er und lacht. Johann Lebmeier rollt derweil ein großes Eichenfass ins Lager. Und Heinz Grünwald überprüft die Flaschen. Dann kann es weitergehen.

Linder drückt auf einen großen grünen Knopf. Das Dröhnen setzt wieder ein, die Kronkorken rieseln, die Flaschen starten ihre Polonaise und aus Neuburgs letzter Brauerei dringt wieder ein wildes Schnauben.

Nächsten Dienstag ist wieder von einem recht heiligen Bier die Rede - von dem der Scheyrer Mönche.