Beilngries
Lange Wege, langes Warten

Reform im ärztlichen Bereitschaftsdienst verdoppelt Patientenzahlen und vergrößert Einsatzgebiet enorm

05.02.2014 | Stand 02.12.2020, 23:07 Uhr

Wie groß das Gebiet der neuen Dienstgruppe ist, muss sich Robert Geissler mal wieder auf der Landkarte vor Augen führen. Der Beilngrieser Orthopäde koordiniert die 18 Ärzte, die seit Kurzem im Bereich Beilngries-Dietfurt-Berching die Patienten im Rahmen des Bereitschaftsdienstes versorgen - Foto: Schoplocher

Beilngries (DK) Ende Januar ist die Struktur des ärztlichen Bereitschaftsdiensts im Raum Beilgries-Dietfurt-Berching verändert worden. Diese Reform bringt wesentliche Neuerungen mit sich: für Patienten ebenso wie für Mediziner.

Robert Geissler blickt leicht angespannt auf die vor ihm liegende Landkarte. „50 Kilometer“, sagt der Arzt und zeigt auf die Strecke, die zwischen dem Gredinger Ortsteil Schutzendorf im Westen und Hamberg im Gemeindegebiet Breitenbrunn im Nordosten liegt. Beide Dörfer liegen innerhalb des Gebiets „NM 04“, für das die Dienstgruppe um den Beilngrieser Mediziner den Bereitschaftsdienst versieht, wenn außerhalb der Praxiszeiten ein Arzt gebraucht wird, aber kein Notfall vorliegt.

Im negativsten Fall, so erklärt Geissler, könne es leicht sein, dass der Anfahrtsweg zu einem Patienten eine Dreiviertelstunde beträgt. „Dabei liegen wir hier in Beilngries noch relativ zentral“, sagt der 52-Jährige mit Blick auf seine Kollegen aus Breitenbrunn oder Greding. Was diese Konstellation bedeutet, ist auch klar: Hausbesuche sollten, wenn es irgendwie geht, vermieden werden. „Sonst ist man erst einmal eineinhalb Stunden unterwegs. In diesem Zeitraum wurde noch niemandem geholfen.“ In dem erheblich größeren Gebiet wohnen 30 000 Einwohner und damit potenzielle Patienten – vorher waren es 14 000. Auch für die 18 Ärzte der Dienstgruppe, die Geissler seit März 2005 leitet, hat die Reform eine gravierende Änderung gebracht. Statt wie früher eine Woche Bereitschaftsdienst am Stück, wird jetzt – mit Ausnahme des Wochenendes – täglich gewechselt. Von Freitagmittag bis Montagmorgen sind nur zwei Mediziner „dran“. „Sonst würde es ja gleich drei Kollegen das Wochenende zerlegen“, sagt Geissler mit einer gewissen Ironie.

Seiner Erfahrung nach war bisher pro Nacht mit einem bis drei Anrufen zu rechnen, wenngleich es natürlich auch ruhige Zeiten gab. Wenn er allerdings auf die nun doppelt so große Zahl der zu betreuenden Menschen schaue, glaubt er, dass diese Zahlen steigen werden – was sich nach seinem ersten Dienst mit „Einsätzen quer durchs Gebiet“ auch schon bewahrheitet hat. Die Versorgung, das macht Geissler aber auch deutlich, sei aber sichergestellt.

Notwendig geworden war die von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) angestoßene Reform, weil in den Dienstgruppen Berching, Beilngries und Dietfurt die per Verordnung festgelegte Mindestzahl von 15 Ärzten deutlich unterschritten würde und die „dort dienstleistenden Ärzten unzumutbaren Belastungen ausgesetzt sind“, lässt die KVB verlauten.

Ob allerdings das Argument, dass durch die reduzierten Bereitschaftszeiten sich mehr junge Mediziner auf dem Land niederlassen werden – da ist Robert Geissler skeptisch. Und ein wenig hin- und hergerissen ist er auch, was den Ansatz der Kassenärztlichen Vereinigung angeht, in Bayern künftig beispielsweise auch Fachärzte für Strahlenmedizin oder Pathologen zu den Patienten zu schicken – was allerdings aufgrund der Fachrichtungen in „seiner“ Gruppe nicht der Fall ist. Denn grundsätzlich, das macht der in Beilngries niedergelassene Orthopäde klar, „sind wir über jeden am Dienst teilnehmenden Arzt froh“. Jedoch: „Natürlich ist es anfangs für Kollegen ohne direkten Bezug zur Akutmedizin schwierig, bei der Vielfalt der möglichen Erkrankungen auch ohne große Diagnostik immer das Optimale zu tun.“ Selbst er, der viele Jahren Erfahrung hat, gehe bei einer Einweisung ins Krankenhaus lieber auf Nummer sicher. Und wenn Laborbefunde, ein EKG oder ein Röntgenbild benötigt würden, bleibe sowieso nur der Weg in die Klinik. Geissler stellt jedoch auch klar, dass das Ziel, den Patienten so weit zu versorgen, dass er bei der nächsten Gelegenheit den Haus- oder Facharzt aufsuchen könne, „schon sehr häufig erreicht“ werde. Das liege auch daran, dass der überwiegende Teil der Einsätze wegen Erkältungskrankheiten, Rückenbeschwerden und kleineren Unfällen wie Schnittverletzung erfolge.

Die erste Kontaktaufnahme zwischen Patient und Arzt erfolgt nach wie vor telefonisch. Dabei werden die Ärzte mehr als zuvor versuchen auszuloten, ob ein Hausbesuch unbedingt erforderlich ist. Wenn jemand nicht alleine in die Praxis kommen könne, seien zunächst Angehörige gefragt, erklärt Geissler. Der 52-Jährige kann berichten, dass oft Verständnis da sei, zur Untersuchung und Behandlung lieber die Praxis aufzusuchen.

Mit dem neuen Gebiet ist das Ende der Fahnenstange wohl noch nicht in Sicht, sagt der Mediziner. Denn neben anderen Unwägbarkeiten sei derzeit nicht klar, wie es mit dem Bereich Kinding/Kipfenberg weiter geht. Ungeachtet dessen haben Geissler und seine Kollegen ihren Dienstplan aber mal bis zum Jahresende fertiggestellt. Im November soll dann in großer Runde Bilanz gezogen werden.