Landkreis keine heile Welt in Sachen Sucht

10.06.2009 | Stand 03.12.2020, 4:54 Uhr

Simon Finkeldei leitet seit drei Jahren die Suchtberatungsstelle von prop in Pfaffenhofen.

Pfaffenhofen (zur) Seit drei Jahren leitet Simon Finkeldei die Suchtberatungsstelle von prop in Pfaffenhofen. Im Gespräch mit PK-Mitarbeiterin Maggie Zurek geht er auf die Situation im Landkreis ein.

Der Landkreis Pfaffenhofen ist überwiegend ländlich geprägt und steht wirtschaftlich im bundesweiten Ranking gut da. Herrscht hier in Sachen Sucht noch eine "heile Welt"?

Simon Finkeldei: Sucht ist ein Phänomen, das Menschen jeder Schicht und jeden Einkommens treffen kann. Wir haben hier im Landkreis sehr viel zu tun und liegen mit bis zu 700 neuen Betroffenen, die sich pro Jahr an uns wenden, keineswegs unter dem oberbayrischen Schnitt. Allerdings gibt es regionale Unterschiede, so ist etwa die Nachfrage nach Hilfe beim Thema illegale Drogen in der Außenstelle Manching stärker als in der Kreisstadt.

Man hört in jüngster Zeit viel vom "Komasaufen" unter Jugendlichen – sind es überwiegend junge Menschen, die bei ihnen Hilfe suchen und steht Alkohol im Vordergrund?

Finkeldei: Statistisch betrachtet sind Dreiviertel der von uns Betreuten um die vierzig Jahre alt und männlich, zu fast 80 Prozent kommen sie wegen eines Alkoholproblems. Von Essstörungen betroffen sind hingegen überwiegend junge Mädchen im Alter zwischen 16 und 22 Jahren, Drogensucht betrifft eher männliche Klienten. Bei den Spielsüchtigen – derzeit werden zwölf von uns therapeutisch begleitet – sind Männer und Frauen im Alter um die 50 zu etwa gleichen Teilen vertreten. Anfragen in Sachen "Kampftrinken" gibt es verstärkt über die Onlineberatung (zu erreichen in pafnet unter "Service / Jugend- und Suchtberatung") – bereits an die 2000 Email-Anfragen gab es seit Beginn des Angebotes vor eineinhalb Jahren. Dort können die zumeist Jugendlichen anonym Fragen auch zu Themen wie Shisha-Rauchen, illegale Drogen oder Essstörungen loswerden, die sie selbst oder auch Freunde betreffen. Wir machen die Erfahrung, dass weit über 95 Prozent der Jugendlichen, die sich an uns wenden, sich sehr ernsthaft und kritisch mit den Problemen beschäftigen und weit besser sind als ihr Ruf in den Medien. Ob die Zahlen zu den Betroffenen die tatsächliche Situation widerspiegeln, ist schwer zu sagen. Leider findet ja nicht jeder Betroffen oder Angehörige den Weg zu uns.

Wie hoch schätzen sie das Suchtpotenzial von Computerspielen ein?

Finkeldei: Der exzessive Medienkonsum, der sich nicht nur in Internetspielen, sondern auch in der für Chats und Foren geopferten Zeit spiegelt, lässt nach neuesten Umfragen horrende Zahlen vermuten. Noch fehlt es jedoch an wissenschaftlich stichhaltigen Statistiken und Forschungsarbeiten über tatsächliche Gefahren. Sicher ist aber bereits jetzt, dass spätestens dann ein echtes Problem vorliegt, wenn sich ein Jugendlicher isoliert und echte zwischenmenschliche Kontakte, auch sexueller Natur, durch die virtuelle Kommunikation ersetzt. Paradoxerweise nutzen auch wir das Internet, um die Betroffenen da abzuholen, wo sie sind: Im Netz. Daran sieht man aber auch, es ist oft nicht die "Droge" selbst. Ob Alkohol oder das Internet zum Genuss oder zum Problem werden, hängt meistens vielmehr davon ab, wie und vor allem wozu ich sie nutze – oder bereits brauche.

Die Mehrzahl der Spielsüchtigen findet jenseits der Lebensmitte zu Ihnen, aber es gibt auch gerade mal Zwanzigjährige, die schon 40 000 Euro Schulden angehäuft haben. Wie ist das überhaupt möglich?

Finkeldei: Bei den so genannten "Zockern" ist die Schamschwelle extrem hoch, sie finden oft erst den Weg zu uns, wenn sie vor dem existenziellen Ruin stehen. Deshalb ist neben der Therapie auch die Zusammenarbeit mit der Schuldnerberatung extrem wichtig. Leider bekommen auch junge Menschen leicht – nicht nur von bodenständigen Banken sondern zunehmend online – Kredite, ohne entsprechende Sicherheiten bieten zu müssen und geraten so in einen finanziellen Teufelskreis.

Seit mehr als 13 Jahren gibt es die Beratungsstelle von prop in Pfaffenhofen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Kommune und anderen karitativen Einrichtungen?

Finkeldei: Wir sind sehr stark vernetzt – mit dem Jugendamt, mit der Kreis- sowie der Stadtjugendpflege und stehen auch in engem Kontakt mit der Caritas und den Selbsthilfegruppen. Für Entgiftungen arbeiten wir mit dem Klinikum Ingolstadt und der Ilmtalklinik zusammen und bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen, bei denen eine Suchtmittelproblematik ein Vermittlungshindernis darstellt, bekommen wir viel Unterstützung durch die ARGE (Arbeitsgemeinschaft Arbeit und Soziales). Zukünftig wollen wir versuchen, eine noch engere Vernetzung mit den Hausärzten, Internisten und Neurologen zu erreichen, da der Arzt nach wie vor eine der wichtigsten und ersten Anlaufstellen für Probleme ist.