Laboratorium für die Farbe Rot

20.12.2007 | Stand 03.12.2020, 6:15 Uhr

Rupprecht Geiger: Neues Rot für Gorbatschow, 1989. - Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus

München (DK) Ein Foto, ein Katalog und eine Ausstellung treten den Beweis an: Der Künstler Rupprecht Geiger, der am 26. Januar 100 Jahre alt wird, malt noch immer. Und noch immer ist seine dominante Farbe das Rot. Eine Aufnahme vom Oktober dieses Jahres zeigt ihn am Arbeitstisch.

Rupprecht Geiger ist in München geboren, hier hat er Architektur studiert und die Künstlergruppe ZEN mitbegründet. Gelehrt hat er allerdings in Düsseldorf, zusammen mit Joseph Beuys – und auch dies belegt die Ausstellung mit einem Foto der beiden. Das ist deshalb zu betonen, weil Geiger fast schon so etwas wie ein Mythos ist, der zu Lebzeiten gefeiert wird. Und was jetzt in der Ausstellung gezeigt wird, überwältigt durch seine Intensität. Es sind Bilder, die sich aus dunkelfarbigen, grautonigen Anfängen entwickeln – Geiger war Autodidakt und hat erst als Kriegsmaler begonnen, sich mit der Malerei zu beschäftigen. Bekannt sind die Anekdoten, aus denen heraus sich dann seine farbintensiven Bilder entwickelten: Die Sonnenuntergänge in der Weite Russlands und der Ukraine – und dann das Mädchen im knallroten Pullover, mitten im grauen Trümmer-München, und der Maler, der ihre Leuchtspur mangels Farbe mit dem Lippenstift seiner Frau festhält. Es ist die Farbe Rot, die ihn fasziniert, die er intensiviert und zu einem Markenzeichen entwickelt, wie es neben ihm fast nur Yves Klein mit seinem Blau gelang.

Jetzt also hängen seine Werke in der ehrwürdigen Künstlervilla. Wer diese Bilder gesehen hat in modernen Ausstellungsräumen oder gar 1988 in den Hallen des Hauses der Kunst, der weiß, dass diese Werke sich Raum schaffen, dass sie sich ausbreiten und zugleich die Aufmerksamkeit bündeln. Man kann sich ihnen aussetzen, aber sich ihnen kaum entziehen. Wie also können solche intensiven Bilder in der Villa Lenbachs wirken? Werden die Räume gesprengt von den Farben? Nein, keineswegs. Wer ins Obergeschoss hinaufgeht, der erlebt ein strahlendes Gelb, dessen Widerschein auf dem roten Granitboden leuchtet, oder ein Rot, das auf Holzfußböden glimmt. Und in den angrenzenden Räumen, wo sonst die Münchner Romantik alles eng erscheinen lässt, fächern sich jetzt die Entwicklungen auf, erstrahlen die Kreise in glänzendem Silbergrau und in den Rot-Schattierungen.

Die Farbe, das ist hier zu erleben, ist keine Fläche. Sie ist ein pulsierender Körper, der am Rande aufbricht wie die vulkanisch heiße Oberfläche der Sonne. Das Auge ist irritiert, weicht aus, kehrt wieder zurück, um noch einmal und noch einmal dieses Erlebnis zu haben. Der Weg hin zu dieser Perfektion ist ein Weg des Experiments und des Spiels.

Im Erdgeschoss zeigt Helmut Friedel neben den Grafiken auch eine Wand mit Collagen. Was wie die Spielwiese eines Kindergartens aussieht, ist ein Laboratorium für die Farbe Rot. Geiger probiert aus, "wie einer Farbe geholfen werden kann, indem man ihr ein ungewohntes Format gibt" – und ein anderes Material, von Papier bis Filz, von Styropor bis Knete, von Wolle bis Wellpappe. Die ganze Welt des Rot zeigt auch die kleine Vitrine. In Schächtelchen und Dosen, auf Deckeln und Tellern, verkrustet und bröckelig, staubig und zusammengeklebt: die Reste der Farben, von Orange und Ocker bis Pink und Tiefrot. Und gleich nebenan eines seiner Werke, ein Rollbild, das die Wand herabgleitet, in intensivem Pink. Die an die Wand genagelte Rolle oben ließe sich noch weiter aufwickeln, immer weiter könnte dieses Rot herabfließen, den Betrachter übergießen ohne ihn zu benetzen, ihn überstrahlen mit Farbe und Licht – ein Bild für überströmende Fülle, welches Glück auch immer die davor stehende Person sich darunter vorstellen mag. Und so ist sie ein Geschenk, diese Ausstellung, kurz vor der Schließung und dem Umbau des Hauses – eine Hommage nicht nur an Rupprecht Geiger, sondern an das Leben.

 

Lenbachhaus München, bis zum 30. März, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Der Katalog "Texte zu Rupprecht Geiger" enthält einen sechsfarbigen Siebdruck und kostet 22 Euro.