Ingolstadt
Kuss der Muse

Projektseminar des Reuchlin-Gymnasiums präsentierte große Werkschau in der Harderbastei

14.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:30 Uhr

Junge Künstlerinnen vor küssenden älteren Herren: Der Kunstlehrer Thomas Wiedemann mit seinen Schülerinnen (v. l.) Nathalie Müller (sie malte das Bild mit Breschnew und Honecker), Mina Andjelkovic, Julia Holz und Christina Prell am Sonntagabend während der Finissage in der Harderbastei. - Foto: Silvester

Ingolstadt (sic) Es ist der wohl berühmteste Kuss der jüngeren Zeitgeschichte: Leonid Breschnew, Staatschef der Sowjetunion, grüßt Erich Honecker, den obersten Genossen der DDR, wie unter echten sozialistischen Männern üblich: von Mund zu Wange.

Ganz so nah, wie auf dem bekannten Graffito des Russen Dmitri Wladimirowitsch Wrubel auf der Berliner Mauer dargestellt - von Mund zu Mund -, kamen sich die beiden Herrscher in Wirklichkeit allerdings nicht; der Künstler hat das Bruderkussfoto sozusagen erotisch überzeichnet - und damit eine immense Wirkung erzielt.

Auch bei Nathalie Müller. Die Schülerin des Reuchlin-Gymnasiums war vor zwei Jahren mit ihrer Klasse in Berlin und bewunderte dort in der East Side Gallery (jenem zum Gesamtkunstwerk erhobenen Relikt der Mauer) Wrobels Kuss-Graffito. Die künstlerisch begabte Gymnasiastin hatte sich gerade für ein Projektseminar Kunst angemeldet. "Da war auch Historienmalerei verlangt", erzählt Nathalie Müller. Als sie die küssenden Kommunisten sah, hatte sie ihr Sujet gefunden.

Unter dem Leitgedanken "Ich male, also bin ich" mussten die zwölf Schülerinnen und Schüler ihr Können in fünf Gattungen unter Beweis stellen: Landschaftsmalerei, Porträt, Stillleben, Alltagsmotive und wie erwähnt Historienmalerei. Alle dabei entstandenen Kunstwerke fanden viel Lob. Es war auch eine Aufgabe des P-Seminars, eine Ausstellung der Bilder in der städtischen Galerie in der Harderbastei zu organisieren. Die fand über das Wochenende statt. Am Sonntagabend feierten die Zwölftklässler mit ihrem Kunstlehrer Thomas Wiedemann überglücklich vor großem Publikum die Finissage.

Die Musiker des Ensembles Stromlos - alle sind Jugendliche - spielten furios auf. Ihr Bandleader Robert Aichner, Musiklehrer am Reuchlin, lobte die Kunstwerke zwischen zwei Stücken mit Fortissimo: "Ich komme mir fast vor wie in der Pinakothek der Moderne!" Auch da gab es viel Applaus. Kunstlehrer Wiedemann freute sich mit seinen Schülern: "Ich bin wirklich begeistert! Sie haben alles selbstständig entwickelt, ich habe nur technische Hilfe geleistet", erzählte er am Rande der Finissage. "Die fünf Gattungen haben den Rahmen gebildet, darin hatten die Schüler völlige Freiheit." In diesem Rahmen schafften es also auch zwei sozialistische Brüder in die Werkschau, die es nicht so mit der Freiheit hatten: Honecker und Breschnew. Das ist Kunst.