Ingolstadt
Kunstsinnige Bürger

Der Konzertverein Ingolstadt feiert sein 100-jähriges Bestehen

03.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:43 Uhr

Ingolstadt (DK) Die Zeit, als der Konzertverein vom Sanitätsrat Ludwig Liebl (1874-1940), dem Vater der langjährigen DONAUKURIER-Herausgeberin Elin Reissmüller, in den Jahren 1916 und 1917 gegründet wurde, war eine Phase des Umbruchs. Klassische Musik wurde auf einmal anders rezipiert.

Nicht lange zuvor noch hatten Konzerte einen uns heute befremdlichen Charakter. Nicht der weihevolle Genuss stand im Vordergrund, sondern Unterhaltung, Kommunikation, Amüsement. In den Konzerten wurde gegessen und geredet, man verließ, während die Musiker spielten, den Saal, man traf sich mit Freunden. Die Programme sahen im 19. Jahrhundert dementsprechend aus. Selten wurde eine ganze Sinfonie aufgeführt, fast nie eine gesamte Sonate. Ein Lied stand neben einem Konzertsatz, danach ging es möglicherweise mit einem Ballett weiter.

Der Umbruch vollzog sich allmählich vor der Jahrhundertwende. Das Phänomen Kultur bekam einen anderen Stellenwert, wurde mit geistiger Bedeutung gleichsam aufgeladen. Kunst wurde fast zum Religionsersatz oder zur Religionsergänzung. In weihevoller Atmosphäre fanden die Konzerte nun statt, es hatte absolute Stille zu herrschen, den Künstlern auf der Bühne wurde mit Applaus gehuldigt.

Der Konzertbetrieb, wie wir ihn heute kennen, entstand. Wenn man die Programme der Frühzeit des Konzertvereins ansieht, dann fällt auf, dass sich seitdem kaum etwas geändert hat. Diese Art von Konzerten könnte man uneingeschränkt auch heute veranstalten. Der Umschwung wurde besonders auch durch die Bewegung der Konzertvereine initiiert. Bis ins späte 19. Jahrhundert wurden Konzerte vorwiegend vom Adel und von Künstlern veranstaltet. Nun war es ein Verein, bürgerschaftliches Engagement im besten Sinne.

Der Ingolstädter Konzertverein ist für die kulturelle Emanzipation des Bürgertums ein hervorragendes Beispiel. Die Weltoffenheit, die Modernität, die Ernsthaftigkeit dokumentiert bereits die Frühzeit der Konzertreihe. Denn ein besonderes Anliegen war Liebl und seinem Publikum die Aneignung tiefsinniger Musikwerke, besonders aber auch schwieriger zeitgenössischer Werke. So standen in fast jedem Konzert Werke noch lebender oder gerade erst verstorbener Komponisten auf dem Programm - am meisten von Max Reger, dem Lehrer Liebls, aber auch Hindemith oder Skrjabin. Von Anfang an war der Konzertverein geprägt von bürgerlichem Bildungshunger, von einer Sehnsucht nach Tiefsinn, von der Suche nach dem Eigentlichen. Und von bürgerlicher Autonomie. Diese Tradition ist erhalten geblieben. Sie hat immer noch ihren bedeutsamen Platz im Kulturspektrum. Deshalb feiert der Konzertverein, und deshalb sollte es ihn noch lange geben.