Ingolstadt
Krise? Ohne mich!

Efstathios Andrianakis packte einen Koffer, kaufte ein One-Way-Ticket und flog nach Deutschland

05.06.2012 | Stand 03.12.2020, 1:25 Uhr

Mehr als einen Koffer hatte er nicht dabei: Der Grieche Efstathios Andrianakis (27) kam nach Deutschland, weil er hier eine Stelle als Ingenieur suchen wollte. Er fand sie schließlich in Ingolstadt. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Sieben Jahre Studium, aber kein Job in Sicht. Nach über 70 erfolglosen Bewerbungen packte der Athener Efstathios Andrianakis vor einem Jahr den Koffer und flog mit einem One-Way-Ticket nach Deutschland. Jetzt arbeitet der Ingenieur in Ingolstadt und will vielleicht für immer bleiben.

Kriegen die überhaupt meine Bewerbung, fragte sich Efstathios Andrianakis im vergangenen Sommer immer wieder. Ein halbes Jahr lang bewarb sich der Diplom-Ingenieur in Griechenland, doch die Unternehmen machten sich nicht einmal die Mühe, ihm zu antworten. Und das nach sieben Jahren Maschinenbau-Studium mit Masterabschluss. „Sogar als Kellner habe ich nichts gefunden“, erinnert er sich. Irgendwann erkannte der 27-Jährige, dass die Krise in Griechenland vielleicht länger anhalten würde, als er es sich wünschte. Gleichzeitig las er in den Zeitungen immer wieder vom Ingenieurmangel in Deutschland, von der Blauen Karte EU, mit der die Republik sogar schon versucht, Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern anzulocken.

Nach zwei Wochen Nachdenken stand sein Entschluss. Er kontaktierte einen Freund in Düsseldorf, packte einen Koffer und kaufte ein One-Way-Ticket nach Deutschland. „Ich wollte nicht mit 30 noch von meinen Eltern abhängig sein“, erklärt Andrianakis. Mit wenig Sprachkenntnissen arbeitete er sich „Wort für Wort“ durch Stellenbeschreibungen, übersetzte Bewerbungen und führte Gespräche, bis er dann im November die Zusage von der Audi-Zuliefererfirma Virtual Vehicle in Ingolstadt erhielt. Von Anfang an gefiel ihm seine Arbeit, doch die erste Zeit in der neuen Heimat war trotzdem schwer: „Ich war komplett alleine“, sagt er. Weil er keine Wohnung fand, musste er einen Monat lang in ein Hotelzimmer ziehen und danach noch einen weiteren Monat zu einem Kollegen. In dieser Zeit ging Andrianakis nicht oft aus, denn er hatte Angst, Deutsch zu sprechen: „Ich habe immer gedacht, wenn ich jetzt spreche, mache ich nur Fehler.“

Auch im deutschen Alltag kam dem Griechen am Anfang vieles fremd vor: „Man sieht hier so viele Menschen, die Sachen kaufen.“ In Athen, so der Ingenieur, sehe man immer weniger Menschen mit Einkaufstüten. Auch, weil dort mittlerweile alles teurer geworden ist als vor drei Jahren. „Der Benzinpreis stieg um 70 Cent, ein Rechner kostet mittlerweile in Griechenland mehr als in Deutschland.“ Jetzt, da die Korruption bekämpft werde, ändere sich vieles: Früher habe er oft Geschichten darüber gehört, dass man selbst eine Jeans im Laden billiger ohne Quittung kaufen konnte. Heute gebe es nur noch eine Geschichte: „Man kann keine drei Minuten mit jemandem reden, ohne dass das Wort Krise fällt.“ Die meisten seiner Freunde haben bereits ihren Job verloren oder erst gar keinen bekommen. „Viele denken jetzt darüber nach, meinem Beispiel zu folgen“, erzählt er. Seine Schwester habe zum Beispiel vor einer Woche ein Stipendium in Deutschland erhalten.

Andrianakis spricht mittlerweile perfekt Deutsch und spielt mit dem Gedanken, die deutsche Staatsgehörigkeit zu beantragen: „Ich kann mir vorstellen, hier für immer zu leben.“