Komödie als grelle Comic-Gaudi

PeterLichts Fassung von Molières "Der eingebildete Kranke" wird im Münchner Residenztheater ausgebuht

26.12.2019 | Stand 02.12.2020, 12:19 Uhr
Der Kölner Autor und Musiker PeterLicht hat mit "Der eingebildete Kranke" seine vierte Molière-Neudichtung geschrieben. Es spielen: Thomas Lettow, Pia Händler, Max Rothbart, Antonia Münchow, Myriam Schröder, Henning Nierstenhöfer, Cornelius Borgolte. −Foto: Then

München - Da muss der Theaterfreund vollends in Stimmung sein.

Silvester, Fasching oder leicht angedudelt, nur da erträgt man all die ausufernde Gaudi und den halbscharigen Unsinn auf der Bühne und kann sich schlapp lachen über diese quietschbunte Trivialshow. Wer hier freilich eine ebenso seriöse wie hintergründig-komödiantische Aufführung von Molières "Der eingebildete Kranke" erwartet, wird diese Neuinszenierung im Residenztheater - wie einige Premierenbesucher in der ersten Viertelstunde - schnell wieder verlassen. Denn Quatsch ist in dieser Uraufführung von PeterLichts Bearbeitung von Molières bekanntestem und beliebtestem Stück angesagt - aber satt.

Dabei ist der Beginn dieser Aufführung durchaus hübsch gelungen: Während das Publikum Platz nimmt, stimmt schon mal ein Keyboard-Duo mit sentimentalen und fetzigen Weisen auf das kommende Geschehen ein. Dazu wird auf einem Laufband der Inhalt des Stückes flapsig und in Kurzform mitgeteilt. Dann geht's rapide los. Ein Video rauscht ab: Groupies warten sehnsuchtsvoll auf ihr Idol Argan. Kein eingebildeter Kranker ist er hier, sondern ein Hypochonder als Superstar. Hysterisches Gekreische bei dessen Ankunft vor dem Theater. Doch reichlich muffig ist der von den Teenies Angehimmelte und dazu gewaltig nervös vor seinem Auftritt auf der Bühne, die mit einem Bett voll plüschiger Kissen und einem Trampolin dahinter ausgestattet ist. Doch der Gag dieses tollen, stets rotierenden Bühnenbildes (von Andreas Auerbach) ist der dreistöckige Zylinder des Backstagebereichs mit schwankenden Treppen, allerlei Fitnessgeräten als Folterinstrumente, Schminkspiegeln, Ruhesesseln, Tischchen mit Alkoholika und anderem Theaterplunder mehr. Köstlich.

Und nun Argans Auftritt als exaltierter Entertainer, begleitet von einen Live-Potpourri aus der Swing-Ära: Frankreichs Ludwig XIV. und Bayerns Ludwig II. mit Edelperücke, in Unterhemd und Unterhose, kaschiert mit einem roséfarbenen durchsichtigen Kleid und einem Pseudo-Hermelinmäntelchen. Dazu ein umgehängtes Smartphone zur Kommunikation mit Krethi und Plethi. Gestenreich und mit smarter Stimme räsoniert er über seine Malaisen an Körper und Geist, über die Probleme des Alltags einer Lichtgestalt, die Falschheit und Abzockerei seiner Umgebung und die Undankbarkeit der Familienmitglieder und wenigen Freunde. Kein Wunder, denn wie ausgestopfte Figuren aus der Muppetshow und als aufgedunsene Gestalten aus der Geisterbahn schwirren sie im grellen, vogelwilden Outfit und dito Frisuren um ihn herum.

Molière? Fehlanzeige. Sondern eine zwar rasant abschnurrende, aber auch gehörig triviale Broadway-Show mit Horror-Einlagen, bei der alles überreichlich überdreht ist. Jede Geste, jede Mimik, jede Liebespein und jeder Hassausbruch werden in Claudia Bauers Regie dreifach überhöht, was freilich, je häufiger, desto stärker, abstumpft und mit der Zeit ganz schön langweilt.

Und geschmacklos wird's gar, wenn Monsieur Purgon als Argans Leibarzt (Christoph Franken) wie ein wild gewordener Metzger die Klistierspritze bei seinem aufheulenden Patienten einsetzt und meterlang den Darm aus dem After zieht. Peinlicher geht's eigentlich kaum noch, während Argans wenig geliebte und dessen noch weniger geliebten "Freunde" in PeterLichts "Überschreibung" von Molières Komödie, wie die Überarbeitung und Neufassung euphemistisch genannt wird, allesamt als schräge und schrille Comicfiguren erscheinen: Pia Händler als Argans berechnende Gattin, Antonia Münchow als dessen Tochter Angélique mit ihrem Geliebten Cléante (Max Rothbart), Thomas Lettow als Argans Bruder, Myriam Schröder als des Hypochonders gestresste Privatsekretärin und Ulrike Willenbacher als vielbeschäftigter Notar. Scheinheilig lassen sie Argan hochleben, rasen und klettern über den Backstage-Zylinder und warten doch nur auf sein Hinscheiden, um die Erbschaft endlich antreten zu können. Dazu die Musiker Cornelius Borgolte und Henning Nierstenhöfer, die das Geschehen mit den ebenso sentimentalen wie fetzigen Kompositionen des Regisseurs kongenial begleiten und Jaromir Zezula, der mit der Live-Kamera Argans Schockerlebnisse in Großformat auf die Leinwand bannt.

Doch nach zweieinviertel langen Stunden ist endlich Schluss mit der allzu aufgesetzten Gaudi: Argan schwebt mit einem melancholischen Song vom Schnürboden herab auf sein Kissenpfühl, während die auf der Showtreppe aufgereihten Intriganten und Erbschleicher wie im Broadway-Musical mit ausgestreckten Händen synchron jubelnd auf ihren Superstar zeigen. Tusch. Ein wunderschön kitschiges Finale und eine verheißungsvolle Anfangsszene bei dieser Uraufführung, aber überreichlich Schmäh und Schmus dazwischen. Heftiger Applaus des Premierenpublikums vor allem für Florian von Manteuffel als androgyner Argan, aber auch Buhs für den Autor dieser "Überschreibung" und für die Regisseurin, die Molières Komödie auf grelles Showbizz reduzierte.

DK


ZUM STÜCK
Theater:
Residenztheater, München
Regie:
Claudia Bauer
Bühne:
Andreas Auerbach
Kostüme:
Vanessa Rust
Musik:
Peter Licht
Nächste Vorstellungen:
31. Dezember, 4., 18. Januar
Kartentelefon:
(089) 21851940