Kindersegen als Armutsrisiko

15.07.2008 | Stand 03.12.2020, 5:45 Uhr

Frisch, fröhlich und kinderreich: Susanne Ölke und Michael Borkwardt sind auf Wohnungssuche für ihren neunköpfigen Haushalt. - Foto: Staimer

Schrobenhausen (SZ) 13 Prozent der bundesdeutschen Familien leben laut der jüngst veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes unter der Armutsgrenze. Susanne Ölke (38), sieben ihrer neun Kinder und Lebensgefährte Michael Borgwardt (38) gehören zur Gruppe dieser Haushalte am Rand des Existenzminimums.

"Ölke, Borgwardt, Bradtke": Gleich drei Nachnamen stehen auf dem Türschild eines Niederarnbacher Einfamilienhaus geschrieben. Ein ungewöhnlicher Anblick und eine nicht alltägliche Familiensituation. Gemeinhin würde man von einer Patchwork-Familie sprechen, wie sie heute landauf landab keine Seltenheit ist. Das Besondere: In dem zusammengewürfelten Familienhaushalt leben sieben Kinder im Alter von neun Monaten bis 19 Jahren.

Es sei "aufregend und anstrengend", fasst Susanne Ölke ihren Alltag knapp zusammen. Das Leben ist nicht einfach. Zur Arbeit mit Haushalt und der Kinderbetreuung kommt das geringe Familieneinkommen. Als Monteur für Raumluft- und Klimatechnik im Außendienst zählt Lebensgefährte Michael nicht gerade zu den Großverdienern. "Die steigenden Preise für den täglichen Bedarf sind für uns fatal", gesteht die neunfache Mutter. Das Geld reiche hinten und vorne nicht.

Seit der Geburt des gemeinsamen Sohnes Lukas vor neun Monaten unterstützt der Caritasverband Neuburg-Schrobenhausen den neunköpfigen Haushalt. Die Pädagogin Stefanie Buchner-Joppich, zuständig für den Bereich Betreutes Einzelwohnen, besucht die Familie regelmäßig. Für die älteren Kinder wurde ein Dienstplan aufgestellt mit festen Jobs in dem riesigen Haushalt, um die überarbeitete Mutter zu entlasten.

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Der Tag bekam eine feste Struktur, die allen Abläufen eine erleichternde Systematik gab: feste Hausaufgaben- und Lernzeiten sowie als Ausgleich Familienaktivitäten wie zum Beispiel Bastelnachmittage oder kleine Ausflüge wurden eingeführt. Ein Haushaltsplan samt Haushaltsbuch wurde erarbeitet, der zur Sanierung des Familienhaushalts beiträgt. Sonderangebote nutzen, laute die Devise, so Buchner-Joppich.

Das allsamstägliche Schnäppchen-Hopping frisst allerdings viel Zeit. Während andere Familien für den wöchentlichen Großeinkauf einen halben Vormittag investieren, können es bei ihnen schon mal sechs Stunden sein, bis der Wochenvorrat beisammen ist. Trotz allen Bemühungen: Diverse Töpfe von Familienhilfe, Jugendamt, Wohngeldstelle und Sozialbehörden müssen angezapft werden – ein Spießrutenlauf durch den Antragsformalismus. Und ein Aufprall auf eine Mauer von Vorurteilen: In die Schublade mit der Aufschrift "asozial" gesteckt, fühle sich Michael Borgwardt. Dabei seien die Kinder sehr gut erzogen, berichtet die Caritas-Betreuerin. Mit solch guten Manieren werde jeder im Leben einen guten Weg gehen, ist sie überzeugt.

Auch wenn sechs der im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder nicht seine leiblichen sind, scheint Michael Borgwardt beherzt hinter seiner kompletten Patchwork-Familie zu stehen. Was nicht einfach ist: Susanne Ölke hat keinen Führerschein und ist auf dem Land – quasi ohne Infrastruktur – selbst bei kleinen Besorgungen und Arztbesuchen auf ihren Freund angewiesen. Bei Fahrten zur Frühförderung der sechs- und vierjährigen Jungs springt auch mal Caritas und Familienhilfe als Chauffeurdienst ein.

Jetzt muss die Familie aus ihren angestammten vier Wänden raus – in einer Zeit, als sie den ohnehin schon prekären Teufelskreis aus Schulden und Förderanträgen, gerade in Griff zu bekommen glaubten. Das angemietete Einfamilienhaus mit seinen 230 Quadratmetern war größer als gesetzmäßig förderungswürdig.

Ein Umzug näher an einen größeren Ort mit besserer Infrastruktur würde allerdings durchaus positive Impulse für die Erleichterung der täglichen Abläufe mit sich bringen, sagt Caritas-Mitarbeiterin Buchner-Joppich und bringt den positiven Blick nach vorn ins Spiel. Ein Supermarkt in Fußmarschentfernung, Kindergarten, Sportverein und ärztliche Versorgung am Ort – das wären die Eckpfeiler für eine neue Bleibe. "Optimal wären sieben Zimmer", sagt sie mit Blick auf Fördermöglichkeiten.