Berlin
Keine Illusionen

Merkel stellt in Regierungserklärung zum Brexit-Gipfel Großbritannien harte Verhandlungen in Aussicht

27.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:14 Uhr

Berlin (DK) Violett, heißt es, sei die Farbe des Geistes, der Inspiration, der Magie. Angela Merkel hatte gestern für ihren ersten großen Auftritt nach der Osterpause einen fliederfarbenen Blazer gewählt. Mit einer Regierungserklärung im Bundestag stimmte die Kanzlerin auf den morgigen EU-Sondergipfel und die bevorstehenden Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien ein.

Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft der Europäischen Union. Fragen, für die jede Menge Geist, Inspiration und womöglich auch magische Kräfte benötigt werden. Am Rednerpult gibt Merkel die Europäerin aus Überzeugung, die den Briten ins Stammbuch schreibt, sich keine Illusionen zu machen, was die Brexit-Verhandlungen angeht. Klare Worte in Richtung London, klare Worte aber auch Richtung Ankara nach dem Verfassungsreferendum. "Wir werden sehr aufmerksam verfolgen, wie die Türkei sich bei der Aufklärung möglicher Unregelmäßigkeiten verhält", kündigt Merkel an.

Merkel nutzt das Plenum, um sich als europäische Krisenmanagerin zu präsentieren. Auf der Regierungsbank plaudert sie entspannt mit Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) - die große Koalition auf den letzten Metern. In der Debatte über die Regierungserklärung entwickelt sich ein munterer Schlagabtausch, mit Wortgefechten zwischen den Fraktionen, vor allem zwischen Linken und SPD. Vorwahlkampf unter der Reichstagskuppel.

Merkel spricht von der Europäischen Union als einzigartiger Erfolgsgeschichte, beschwört Einigkeit und Geschlossenheit in der Union der 27 verbleibenden Mitgliedstaaten. Die Kanzlerin zeigt den Briten die Daumenschrauben, gibt das Signal für harte Verhandlungen. "Ein Drittstaat, und das wird Großbritannien sein, kann und wird nicht über die gleichen Rechte verfügen oder womöglich sogar bessergestellt werden können als ein Mitglied der Europäischen Union", stellt Merkel klar. Absage ans "cherry picking", an Rosinenpickerei, die Hoffnung mancher Briten, die Union zwar zu verlassen, aber gleichzeitig noch einen Teil der Vorteile eines Mitglieds genießen zu können. Sich Illusionen zu machen, "wäre vergeudete Zeit", sendet Merkel ein Signal auf die Insel. Zunächst die Bedingungen des Austritts klären und dann erst über das künftige Verhältnis der Briten zur EU sprechen, so der Zeitplan der Kanzlerin. Diese Reihenfolge sei "unumkehrbar".

"Ein starkes Signal der Geschlossenheit" erwartet Merkel vom EU-Brexit-Gipfel, der heute in Brüssel Leitlinien für die Verhandlungen beschließen soll. "Gute, enge und vertrauensvolle Beziehungen" - das sei ihr Ziel für das künftige Verhältnis zwischen Europa und Großbritannien. Merkel will die Briten als Freunde und Partner behalten, gleichzeitig aber Schaden von der EU abwenden. Europa könne sich angesichts vielfältiger Herausforderungen - Hunger, Not, Flucht, Gefahren für Klimaschutz und Welthandel - nicht erlauben, "sich in den kommenden zwei Jahren nur mit sich selbst zu beschäftigen, Brexit hin oder her". Weiter so in Europa? Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wirft Merkel eine Augen-zu-und-durch-Taktik vor.

Bemerkenswert deutlich positioniert sich die Kanzlerin beim Thema Türkei, fordert Aufklärung über Beeinflussung und Unregelmäßigkeiten beim Verfassungsreferendum vom Ostersonntag. Eben noch war Merkel ein zu lasches Auftreten gegenüber Ankara und Präsident Recep Tayyip Erdogan vorgeworfen worden, nun greift sie an, kommt auch auf den Fall des inhaftierten "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel zu sprechen.

Doch finden sich in Merkels Rede interessante Zwischentöne. Die Kanzlerin geht auf Distanz zu den EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara, warnt aber vor einem Bruch in den Beziehungen: "Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch - und das sage ich mit Bedacht - Europas von der Türkei, wäre weder im deutschen noch im europäischen Interesse."