stadtgeflüster
Kein Pardon den Bedenkenträgern

12.03.2019 | Stand 02.12.2020, 14:27 Uhr

(sic) Deutschlands letzter Kaiser Wilhelm II.

(1859 bis 1941) wird neuerdings erstaunlich oft zitiert. Allerdings nicht mehr - leider, muss man sagen - mit seiner legendären, ob ihrer Sensibilität international beachteten "Hunnen-Rede", die er im Jahr 1900 hielt: "Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! " Wie vor 1000 Jahren bei den Hunnen unter ihrem König Etzel.

Dafür darf heute ein anderes kaiserliches Bonmot in keiner gepflegten Suada fehlen: Wenn deutsche Politiker, die sich fortschrittlich geben, auf "Bedenkenträger" treffen - so nennen sie geringschätzig Skeptiker, die etwa sagen: "Ich glaube nicht, dass Flugtaxis die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können" - dann zitieren sie gerne diesen Spruch Kaiser Wilhelms: "Ich glaube an das Pferd. Das Auto halte ich für eine vorrübergehende Modeerscheinung. "

Damit wollen die silicon-valley-seligen Politiker sagen: "Ihr seid so was von gestern, wenn ihr die neue urbane Luftfahrttechnologie anzweifelt! In 20 Jahren werden sie über euch lachen, wenn ihr euch heute über Flugtaxis lustig macht. Die Welt wartet nicht auf euch, ihr Euphoriebremsen, ihr eingestaubten! Spielt doch weiter mit euren Wählscheibentelefonen! "

An der Stelle muss man Kaiser Wilhelm in Schutz nehmen. Denn sehr wahrscheinlich hat er den ihm zugeschriebenen Satz mit dem Pferd und den Autos nie gesagt. So wie Albert Einstein nie gesagt hat: "Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher. " Netter Spruch, aber erfunden. Angeblich hat Wilhelm vielmehr die SPD für eine vorübergehende Erscheinung gehalten (womit er recht behielt).

Der Kaiser war gewiss sonderbar und schwierig, aber auf keinen Fall unmodern. Er ließ die preußische Armee schließlich nicht mit Vorderladern ausrüsten, sondern mit dem Modernsten des Modernen - und zwar massenweise: Flugzeuge, Lastkraftwagen, U-Boote; alles Maschinen mit Verbrennungsmotor. Nicht zu vergessen seine vielen schönen Schlachtschiffe mit innovativem Dieselantrieb! (nicht bestätigt ist übrigens des Kaisers Ausruf: "Die Welt wartet nicht auf uns. Deshalb greife ich sie jetzt an! ") Man darf Wilhelm getrost als Helden des fossilen Energiezeitalters feiern, ja als Schutzheiligen der Verbrenner-Fans! Sollte die Diesel-Fraktion im Ingolstädter Stadtrat eine Persönlichkeit suchen, auf die sie sich begeistert berufen kann: Der Kaiser wäre ein Kandidat.

Wer bei der großen Ingolstädter Flugtaxi-Sause am Montag erlebt hat, wie Digitalministerin Dorothee Bär und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) immer wieder anklagend gegen "Bedenkenträger" zu Felde gezogen sind, fühlte sich auch an Wilhelm erinnert, aber eher an seine Hunnen-Rede. Doch wie schon Einstein nie sagte: Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und noch irgendwas.