Neuburg
Karate als Lebensweg

Josef Ries hat vor kurzem die Prüfung zum 7. Dan abgelegt und darf sich nun "Kyoshi" - Lehrer - nennen

04.11.2020 | Stand 06.01.2021, 3:34 Uhr
Josef Ries mit seinem Diplom, das ihn zum Führen des Titels "Kyoshi" berechtigt. −Foto: Privat

Neuburg - Man kennt das aus einschlägigen Filmen: Ein zurückhaltender, unscheinbarer, aber bestens ausgebildeter Karatemeister schickt auf virtuose Weise eine ganze Horde Bösewichter zu Boden, die sich anschließend jammernd und stöhnend davon machen.

 

Mit solchen Prügeleien konnte Josef Ries nie etwas anfangen. Er betreibt seit 44 Jahren Karate und hat vor wenigen Tagen die Prüfung zum 7. Dan abgelegt. Damit nimmt der 65-Jährige einen besonderen Rang ein. Unter anderem darf er nun sein Wissen, sein Können und seine Erfahrung an Schüler weitergeben.

Ursprünglich war der gebürtige Karlshulder, der heute in Neuburg lebt, Fußballer. Durch einen Freund, einem Trainer, kam er mit diesem Kampfsport in Berührung. "1976 habe ich erstmals geschnuppert und bin dann mit meinem Bruder Max Mitglied im Judo Club Neuburg geworden", erinnert sich Ries. Karate war damals in ganz Deutschland dem Judosport angegliedert. Nach dem Erreichen des Gelbgurtes im Frühjahr 1977 wurde der Verein aufgelöst. Doch ohne seinen Sport wollte der junge Josef Ries nicht mehr bleiben und so gründete er mit Gleichgesinnten den Karate-Club Neuburg, dem er heute noch angehört. Sein Bruder Max war jahrelang Vorsitzender des Vereins. Auch Josef Ries brachte sich ein und übernahm die Verwaltung der Kasse.

Gleichzeitig trat Josef Rieß der Karateabteilung des ESV 1897 Ingolstadt bei, der er bis 1992 angehörte. In Ingolstadt fand er auch seinen langjährigen Trainer Geza Abraham. Nachdem Ries Wettkämpfe bestreiten wollte und entsprechende Unterstützung brauchte, fuhr er zweimal pro Woche nach Ingolstadt, und an weiteren zwei Tagen kam Abraham nach Neuburg, um seinen Schützling zu coachen. Josef Ries war regelmäßig bei Oberbayerischen, Bayerischen und Deutschen Meisterschaften vertreten. So belegte er einmal den 3. Platz in der Bayerischen Meisterschaft oder einen 6. Rang bei den Deutschen Meisterschaften. Zehn Jahre lang betrieb Ries aktiv Wettkampfsport, beließ es dabei jedoch nicht.

Der Karateka ließ sich Schritt für Schritt selbst zum Trainer ausbilden, legte 1991 die Fachübungsleiterlizenz für Karate ab und engagierte sich als Kampfrichter, was auch nicht so ohne weiteres möglich ist. Die Bezirkskampfrichterlizenz Kata, Kumite erwarb er 1995. Im Jahr 2000 erfolgte die nächste Stufe zum Landeskampfrichter Kata A und Kumite A, eine Tätigkeit, die er nach wie vor ausübt.

Seit 2012 richtet Josef Ries zusammen mit Fritz Oblinger Lehrgänge mit Kyu und Danprüfungen in Neuburg aus. Seit diesem Jahr wirkt er zudem als Referent für BKB Gasshuku "mukin shori" in Brixen. Unterdessen legte der agile Mann Prüfung um Prüfung bis zum 6. Dan ab, den er 2014 erreichte. Die bisherige Krönung seiner Laufbahn stellt die Hohe Dan-Prüfung zum 7. Dan Karate SOK (Stilrichtung offenes Karate) dar, die Josef Ries am 31. Oktober bestand. Dieser Dan ist im Karate ein besonderer, mit ihm wird der Titel "Kyoshi" verliehen, welcher übersetzt "Lehrer" bedeutet. Jahrzehntes Training ist erforderlich, um diese Stufe zu erreichen.

Bis er vor die Prüfungskommission in Oberhaunstadt, Ingolstadt, treten konnte, benötigte Ries ein volles Jahr an Vorlaufzeit. Für den theoretischen Teil der Prüfung musste er bereits zwölf Monate vor der Prüfung über sein gewähltes Thema eine schriftliche Ausarbeitung einreichen. Er wählte die Kata Passai und deren Entstehung. Die Passai ist eine der ersten chinesischen Kataformen, die nach mündlicher Überlieferung aus dem 14. Jahrhundert stammen könnte und in Okinawa verbreitet wurde. Erste geschichtliche Spuren lassen sich erst um 1830 belegen.

Im praktischen Teil stellte Ries drei Formen vor, die die geschichtliche Entwicklung der Passai bis in die Neuzeit zeigte. Die älteste Form war die Oyadomari no Passei aus der Linie "Tomarite". Shionja, ein chinesischer Kampfkünstler entwickelte diese Variante zwischen 1831 und 1905.

Die zweite Variante, die Ries zeigte, war die "Matsumura no Passai". Als die Oyadomari no Passai ihren Höhepunkt erreicht hatte, tauchte in der Matsumura Schule eine Passai auf die sich sehr von der Oyadomari-Form unterschied. Man weiß bis heute nicht, wie die Kata zu Matsumura Sokon (1800-1896) Bushi kam. Entweder hat er sie bei einem China-Aufenthalt um 1830 erlernt, oder sie ist eine ausspionierte und veränderte Form von Shionja.

Die dritte von Ries demonstrierte Form ist die heutige Bassai Dai. Um das 19. Jahrhundert trat Itosu Anko (1832-1916) in den Vordergrund. Itosu veränderte die Kata und machte aus der Passei zwei Kata (Dai und Sho). Sein Schüler Gichin Funakoshi brachte diese Formen leicht verändert 1921 nach Japan und veränderte den Namen von Passai zu Bassei.

Ries konnte den hochkarätig besetzten Prüfungstisch überzeugen. Jamal Measara (9. Dan), Lothar J. Ratschke (8. Dan), Fritz Oblinger (8. Dan), Wolfgang Weigert (7. Dan und (Präsident des Deutschen Karate Verbandes) sowie Helmut Körber (7. Dan) nickten zufrieden und hoben den Daumen.

Im Vorfeld hatte Ries heuer auch unter erschwerten Bedingungen wegen der Corona-Krise im Frühjahr die Prüfung zum 2. DAN im Kyusho-Jitsu in Garmisch-Patenkirchen ablegen können. Im Kyusho-Jitsu werden speziell die Vitalpunkte zum Kämpfen studiert. Die Vitalpunkte sind die "geheimen Punkte" die die alten Meister ihren innersten Schülern (Uchi Deshi) zeigten. Ries erläuterte in dieser Prüfung die Vitalpunkte anhand der Kata Oyadomari no Passei. In diesem Zusammenhang zeigte sich Josef Ries dankbar gegenüber Fritz Oblinger, seinem Mentor, der ihn stets unterstützt habe, sowie an seine Übungsleiter, die das Training übernommen hatten, damit er sich auf die Prüfung vorbereiten konnte.

Nun, als Meister des 7. Dan, kann sich Josef Ries als Experte und als Lehrender an seine Schüler wenden, der mehr zu vermitteln vermag als bloße körperliche Techniken. Vielmehr kann er sie nun mit dem geistigen Hintergrund von Karate vertraut machen.

"Karate ist für mich Lebensweg und Lebensgestaltung. Es stiftet Sinn, macht einen mental stärker, man ist ausgeglichener und selbstsicherer", erklärt Josef Ries. "Das hat mit Schlägereien wie im Film nichts zu tun. Das ist nicht der Sinn. " Nun kann Ries diese mentale Komponente weitergeben, wobei seine Schüler von seiner mehr als 40-jährigen Erfahrung profitieren. Einer seiner Schüler hat selbst bereits den 5. Dan erreicht.

DK