München
Kantorenmusik und singende Weltstars

28.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:15 Uhr

Ein Trichtergrammophon der Victor Talking Machine Companie, entwickelt um 1905. - Foto: Franz Kimmel

München (DK) Original kratzend-krachige Jukebox-Musik, eine gemütliche Flegel-Lounge und eine exquisit sortierte Plattensammlung – in welchem Museum hat es das schon mal gegeben

Das Jüdische Museum in München lockt jedenfalls seine Besucher schon im Foyer mit einer Rock Ola, die 120 Singles – drei Stück für einen Euro – im Programm hat, in die ebenso informative wie lustvoll gestaltete Ausstellung „Jukebox, Jewkbox! Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack und Vinyl“.

Dass Juden an der Geschichte der Schallplatte – wichtigster Tonträger des vergangenen, 20. Jahrhunderts – nicht nur hohen, sondern allerhöchsten Anteil hatten, entdeckte der Kurator der Ausstellung, Hanno Loewy vom Jüdischen Museum Hohenems, erst im Laufe der Recherchen. Dass transportable Musik auf Juden eine große Faszination ausübte, war schon vorher klar. Die Migrationsbewegungen von Ost- nach Westeuropa, nach USA und Südamerika zerstörten viel von der jüdischen Identität. Mit der Schallplatte konnte man wenigstens die Musik konservieren und global zum Klingen bringen.

Eine frische, ansprechende Präsentation überrascht den Besucher im 2. Obergeschoss. 500 Schallplatten wurden in meterlange Plastikhüllen gesteckt und bilden leicht schwingende halbtransparente Trennwände, die einen langen Tresen umfassen und die Lounge mit Sitzsack, Plüschteppich und Musikvideo abtrennen. Von gläsernen Vitrinen geschützt offenbaren sich daneben die kostbaren Fossilien der konservierten Musik: Spielerisch gestaltete Trichter-Grammophone aus allen Zeiten verblüffen teils mit extrovertierten, skulpturalen Tulpen, die ihre stilistische Herkunft etwa aus dem Jugendstil stolz zur Schau tragen. Bald gab es jedoch auch zurückhaltende, einfach praktische Koffer-Grammophone, die die klingende Musik zum transportablen Medium machten.

Mit Herzblut waren jüdische Erfinder bei der Sache. Allen voran Emil Berliner, der in Hannover aufgewachsen war und 1870 nach New York auswanderte. Er suchte – wie auch Thomas Alva Edison – nach der Verbesserung des Telefons. Erfunden haben beide ein Abspielgerät für Töne, Edison schon 1877. Berliner ließ sich 1887 einen scheibenförmigen Tonträger, der zunächst aus Hartgummi, aber bald schon aus einem Gemisch von Schieferpulver, Baumwolle, Ruß und Schellack hergestellt wurde, sowie das passende Abspielgerät patentieren. Grammophon und Schallplatte waren erfunden – und den walzenförmigen Geräten Edisons haushoch überlegen.

Mit einem der erfolgreichsten Logos aller Zeiten, dem Hund vor dem Tontrichter – „his master’s voice“ – schrieb Berliners US Gramophone Company auch in Sachen Grafikgestaltung Designgeschichte.

Die Entwicklung des neuen Massenmediums bleibt eine Geschichte jüdischer Migranten in den USA. Stereophonie, Fernsehkameras, das erste reguläre Fernsehprogramm, das individuell gestaltete Plattencover oder der Wechsel zur Vinyplatte – alles geht aufs Konto jüdischer Erfinder.

Auch der jüdischen Musik selbst widmet sich die Schau intensiv. Viel erfährt man über jüdische Produzenten, jüdische Labels und ethnische Programme, die Minderheiten im Publikum bedienen sollten. Musiker, von denen man nie gehört hat, lassen sich ebenso anhören wie Weltstars – etwa Barbra Streisand, Bob Dylan oder Billy Joel.

Dazu dient der lange Tresen, an den man sich wie in einem Plattenladen setzen und über Kopfhörer zuvor ausgewählte Lieder anhören kann. Sortiert sind die Hörproben in thematische Kapitel wie „Kantorenmusik“, „Klezmer“, „Jiddische Theaterlieder“, „Folk“ oder „Pop“.

Die Beachtung der recht unauffällig in die Plattenwände eingeklinkten Textelemente empfiehlt sich. Dann liest man etwa Hintergründiges über Punk oder Jewish Radical. Und recht Unbekanntes über „Black and White“ oder „arabisch-jüdische Musik“: Juden haben in der islamischen Welt – vom mittelalterlichen Spanien über Nordafrika, Iran und Jemen – eigene musikalische Traditionen entwickelt. Große Plattenfirmen begannen um 1900 auch jüdisch-arabische Gesänge aufzunehmen. In Marokko werden diese bis heute geschätzt – die absolute Ausnahme. In Israel selbst, wen wundert’s, wurde in arabischer Sprache gesungene jüdische Musik zur Randnotiz.

Bis 22. November im Jüdischen Museum München, Sankt-Jakobs-Platz 16, geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr.