Neckarsulm
Jetzt heißt's sparen mit eiserner Hand

26.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:09 Uhr
Anpacken statt Klagelieder singen will Neckarsulms Oberbürgermeister Joachim Scholz. −Foto: Horst Richter

Neckarsulm (DK) Neckarsulm lebte bisher komfortabel von Gewerbesteuern und leistete sich manchen Luxus. Mit der VW-Abgaskrise und dem Wegzug von Lidl Deutschland stehen finanziell harte Zeiten an.

Es sind die vielen Figuren und Skulpturen in dieser Stadt, die dem Besucher zuerst auffallen. Neckarsulm ist voll davon. Blitzende Edelstahlringe etwa, die als Radständer dienen, ein aufwendig gestalteter Bronzebrunnen als Symbol des Zusammenflusses von Neckar und Sulm oder die Tauzieher - drei Männer hier, einer dort - auf dem Marktplatz; sie zerren angestrengt an einem imaginären Seil. Noch vor Kurzem herrschte Überfluss in Neckarsulm, die Zeugnisse finden sich überall. Jetzt wird das Geld knapp, die VW-Abgasaffäre lässt grüßen. Die andere Audi-Stadt neben Ingolstadt ächzt.

Fehlende Gewebesteuereinnahmen von Volkswagen sind nur ein Grund für die Misere. Die erste Hiobsbotschaft war im Herbst eingetrudelt. Discounter Lidl will seine Deutschlandzentrale 2019 von Neckarsulm abziehen und ins wenige Kilometer entfernte Bad Wimpfen verlegen. Das saß! Zweistellige Millionensummen an Gewerbesteuern würden jedes Jahr wegfallen, rechnete die Verwaltung flugs aus. Und bekam schon bald Vorwürfe zu hören.

Hatte etwa die Kommune, hatte Oberbürgermeister Joachim Scholz die Signale zu spät erkannt? Warum nur bringt die Stadt den Flächennutzungsplan, an dem sie nach einem ersten Anlauf 2007 erneut seit drei Jahren herumgedoktert, nicht endlich auf den Weg, um mehr Bauland und Gewerbeflächen auszuweisen? Hätte der Anschluss der B 27 an ein bestehendes Gewerbegebiet nicht längst realisiert sein sollen, um die knappen Flächen besser nutzen zu können? Gerade einmal 25 Quadratkilometer Gemeindeflur - zum Vergleich: Ingolstadt hat 133 - gehören zu Neckarsulm, das mit der Großstadt Heilbronn verschmolzen ist, räumlich gesehen. Ansonsten beäugen sich David und Goliath eher argwöhnisch.

Die Kleinstädter, sie waren immer die Stolzen. In Neckarsulm leben 26 000 Menschen, weniger als in Neuburg. Aber es arbeiten 34 000 Frauen und Männer dort, der Pendlerverkehr ist enorm. 2013 brachte die Gewerbesteuer noch stattliche 138,1 Millionen Euro, in den Jahren zuvor kaum weniger. Da ließ sich ein wenig zurücklegen, wie das im Ländle guter Brauch ist - die Rücklagen betrugen 2015 um die 92 Millionen Euro.

Aber die Stadt hat auch immer ordentlich viel Geld ausgegeben. Klotzen statt kleckern, hieß die Devise. Das neue Sportbad oder das Spaßbad Aquatoll zum Beispiel, teuer im Bau wie im Unterhalt. Repräsentativ auch die schmucke Musikschule oder die Volkshochschule - viel umbauter Raum, der ins Geld geht.

Die Liste lässt sich fortsetzen: 15 der 18 Kindergärten sind städtisch, 136 Stellen wurden dafür und für die Jugendarbeit zwischen 2009 und 2014 geschaffen. So stiegen die Personalkosten seit dem Amtsantritt von OB Scholz 2008 von 19,6 auf jetzt 31,1 Millionen. Die Kindergartengebühren zählen dennoch zu den niedrigsten im Land. "Wir leben auf arg großem Fuß und leisten uns Personal wie in einer 50 000-Einwohner-Stadt", kritisiert Grünen-Stadtrat Horst Strümann. Schöne Architektur sei das eine, aber "man hätte mehr auf die Wirtschaftlichkeit achten sollen". Wobei er selbstkritisch einräumt, vieles mitgetragen zu haben. Man konnte es sich eben leisten.

Es sind nicht nur Kindergärten und Schulen, in die Neckarsulm investiert hat. Daneben gibt es von der Kommune finanzierte Kino- und Theaterangebote, einen gut vernetzten Buslinienverkehr und im Sommer regelmäßig Konzerte am Marktplatz, letztere kostenlos wie das Parken im Zentrum. Nicht zu vergessen das Zweiradmuseum mit der weltweit größten NSU-Sammlung. Sehr ansprechend gestaltet, trotz nur sechs Euro Eintritt. "Woanders würden sie viel mehr verlangen", staunt Christopher Enticknap aus Heppenheim nach dem "sehr beeindruckenden Besuch". Willi Walter an der Kasse spricht von bis zu 22 000 Gästen im Jahr.

Aushängeschilder allerorten, keine Frage. "Neckarsulm hat die Infrastruktur einer doppelt so großen Stadt", findet Joachim Eble von der Freien-Wähler-Vereinigung. Stadtratskollege Herbert Emerich (CDU) formuliert es so: "Wir wollten den Bürgern zurückgeben, was sie erwirtschaften und andere vielleicht eine Nummer kleiner machen." Neckarsulm fährt Audi A 8, andere nur VW, heißt es landläufig.

Ein attraktiver Standort, gut und schön. Das bringt Menschen in die Stadt, die Steuern zahlen und Geld dalassen. In schlechten Zeiten wird dieses Credo leicht zum Bumerang. Tonnenschwer wie der dicke Fels vor dem Spaßbad lastet der Luxus auf der Stadt. Gebäude stehen nicht nur da, sie wollen beheizt, gepflegt und gewartet werden. Die stählerne Hand vor der Nobel-VHS weist demonstrativ dahin, wo der Hebel ad hoc anzusetzen ist: bei Gebühren etwa, in der VHS ebenso wie in Kindergärten oder der Musikschule. Personal lässt sich dagegen nur langfristig abbauen.

Nun kommt der Haushalt auf den Prüfstand, eine Sparkommission ist eingerichtet. Einstellungsstopp! Die Investitionen gehen runter, erstmals seit 2008 nimmt die Stadt einen Kredit auf. Alle freiwilligen Leistungen seien verhandelbar, heißt es unisono quer durch alle politische Lager. Nur: Vom Sparen war in der Sulm-Stadt schon vor der Finanzkrise die Rede, ohne große Folgen. "Wir wollten die Ausgaben sanft senken", umschreibt es CDU-Stadtrat Wolfgang Ihle. "Zwei Jahre ist über die Wende geredet, aber nichts getan worden", meint sein Parteikollege Hans Kriegs. Immerhin: Die Hundesteuer wurde angehoben.

Ein großes Hauen und Stechen, wie im Ingolstädter Stadtrat mitunter zu erleben, ist indes kaum zu erwarten. Sie gehen pfleglich miteinander um im beschaulichen Neckarsulm. Man hält es wie die Tauzieher am Marktplatz: Nur einer zerrt dort in die Gegenrichtung. Es könnte SPD-Stadtrat Roland Stammler sein, der Einzige, der zitierfähig Pfeile in Richtung Stadtspitze schießt. "Für mich liegt manches an der Unentschlossenheit des OB. Es geht nichts vorwärts", sagt er. Vielleicht ist dieser Satz auch dem Kommunalwahlkampf geschuldet, im September ist Urnengang. Denn "die SPD hat vieles mitgetragen", gesteht Stammler.

Der parteilose OB ist ein wortgewandter Mann. Beim Thema Stadtfinanzen hat er die Zahlen im Kopf, da muss er nicht erst seinen Kämmerer hinzubitten. Die Kritik prallt an ihm ab. "Ich habe keine Glaskugel, wenn ich Entscheidungen treffe", sagt der 53-Jährige. Die vielen neuen Stellen seien der Entwicklung geschuldet. "Wer Arbeitsplätze bietet, muss auch Kindergärten bereitstellen." Rund 72 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen bräuchte die Stadt, um alle ihre Aufgaben zu erledigen. Brutto fehlen ihm heuer aber 20 Millionen, netto immerhin noch acht. Streichungen sind nötig. "Fünf Millionen haben wir auf dem Papier bereits zusammen", versichert der OB.

Und der Rest? Im Juni will der Gemeinderat in einer Klausursitzung Nägel mit Köpfen machen. Derweil lebt die Stadt von Rücklagen, Ende 2018 sollen noch 28 Millionen Euro übrig sein, rechnet Scholz vor. "Spannend wird's, wenn Lidl Deutschland weggeht", sagt der OB. Es klingt fast so, als gefalle ihm die Herausforderung. Bei allen Sorgen herrscht verhaltene Zuversicht in der Stadt, denn Lidl International will in Neckarsulm bleiben, angeblich weiterwachsen und bis zu 1000 neue Stellen schaffen. Eine Garantie gibt es freilich für nichts. Auch nicht dafür, dass die VW-Abgasschwaden sich rasch verziehen.