Ingolstadt
Ist Mister Apollo ein Terrorist?

Ingolstadts einst berühmtester Bürger Sascha Borysenko hadert mit der Behandlung im Rathaus

07.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:14 Uhr

Trainierte einst mit Arnold Schwarzenegger: Muskelmann Sascha Borysenko kann auf eine Karriere im Bodybuilding, Film und Stuntmen-Gewerbe verweisen. Seit 1951 lebt er als Staatenloser in Ingolstadt - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Er ist sauer. Stuntman und Bodybuilder Sascha Borysenko fühlt sich im Ingolstädter Rathaus ungerecht behandelt. Er wollte, wie seit Jahrzehnten, ganz normal seinen Pass verlängern. Plötzlich musste er im Ausländeramt eine „Sicherheitsbefragung“ durchstehen. Ist Mister Apollo ein Terrorist?

Das hat er noch nicht erlebt! Er! Ingolstadts einst berühmtester Bürger! In annähernd 70 Jahren, denn so alt wird Sascha Borysenko heuer im September, sei ihm diese ungeheuerliche Behandlung, ja Missachtung seiner Stellung im öffentlichen Leben nicht widerfahren. Klagt zumindest Sascha, wie er von allen genannt wird. Die älteren Schanzer kennen den Muskelmann mit dem mächtigen Schnauzbackenbart, den weiten Hosen und den wattierten Jacken, seit er als Bub im Freibad anfing, die Arme zu trainieren. Er packte sich Kinder auf den Rücken und pumpte. Es folgte eine Karriere als Bodybuilder (mit Titeln wie Mr. Apollo), Filmbösewicht („Ich bin einer der wenigen, der sich eine Schießerei mit Derrick geliefert hat“) und als Erfinder des Stuntmen-Gewerbes mit eigener Schule (von 1970 bis 2011).

Seit 1951 lebt Sascha in Ingolstadt. Er war 1944 als Sohn von Zwangsarbeitern in den Kriegswirren irgendwo in der Nähe von Dresden geboren worden. Seine Eltern waren „Displaced Persons“, die laut Genfer Konvention den offiziellen Status der Staatenlosigkeit erhielten. So auch Borysenko. Er blieb es zeitlebens. Nie war das ein Problem. Alle paar Jahre marschierte der Bodybuilder ins Ingolstädter Rathaus und ließ sich im zuständigen Ausländeramt seinen Pass verlängern, der ihm die uneingeschränkte Aufenthaltsgenehmigung sicherte. Eine Formalie, eine Lappalie. Für ihn. Bis jetzt.

Denn nun ist Sascha sauer. Beim letzten Amtsbesuch bekam er einen Zettel in die Hand gedrückt. Er müsse noch einmal wiederkommen zur Sicherheitsüberprüfung mit großem Fragenkatalog. Inhalt im Tenor: Hatte er je Kontakt zu Terroristen? Ist er womöglich selbst einer?

Er? Sascha? Mister Apollo? „Das haute mich aus den Socken“, sagt Borysenko. „Ich bin lückenlos in der Kartei.“ Seit 1951. Von „ungeklärter Staatsangehörigkeit“, die eine Sicherheitsbefragung nötig machen würde, wie ihm gesagt worden sei, könne absolut keine Rede sein. „Ich bin ein Mann der Öffentlichkeit!“

Doch trotz aller (früheren) Popularität kann die Stadtverwaltung dem (einst) berühmtesten Bürger Ingolstadts keine Sonderbehandlung zukommen lassen, sagt Stadtsprecher Gerd Treffer. Laut Gesetz gelte Borysenko als „heimatloser Ausländer“. Und „für bestimmte Personenkreise ausländischer Gruppierungen und heimatlose Ausländer“ sehe die Gesetzeslage (seit 2010) die Sicherheitsbefragung vor, erklärt Treffer. Die Antworten würden lediglich „dokumentiert“ und laut Treffer nicht (von anderen Behörden) weiterverwendet. Sie sollen vielmehr „eine abschreckende Wirkung haben“.

Aber nicht, dass sich Sascha jemals etwas zuschulden hat kommen lassen. Nicht in fast 70 Jahren, sagt er. „Geschossen habe ich nur im Film...“

Den deutschen Pass hätte er natürlich auch haben können. „Aber dann hätten Sie mich zum Wehrdienst eingezogen.“ Und die sich abzeichnende Bodybuildingkarriere wäre wohl futsch gewesen. Später verdiente Borysenko schon so viel im Film und mit Ingolstadts erstem Fitnessstudio, dass er für den Pass eine „Aufnahmegebühr“, die er als Filmstar erwartete, dann doch scheute, wie er heute zugibt. Heute wäre das einfacher und kostengünstiger. Falls er die deutsche Staatsangehörigkeit haben wollte, wartet nur der nächste Fragenkatalog: der Einbürgerungstest.