München
In der Wachstumsfalle

München will, dass im Umland mehr Wohnraum geschaffen wird – doch Pfaffenhofen sperrt sich

22.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:44 Uhr

 

München/Pfaffenhofen (SZ) „Wir werden nicht mehr auf Zuruf bauen“: Bei einer Podiumsdiskussion mit expansionswütigen Münchenern hat Bürgermeister Thomas Herker jetzt für Pfaffenhofens Recht auf die eigene Identität gekämpft.

Mit seinem Werben für gebremstes Wachstum stand Pfaffenhofens Bürgermeister Thomas Herker (SPD) am Dienstagabend bei einer Podiumsdiskussion im Gasteig unter dem Motto „Wie bewältigen München und das Umland das Wachstum – Streiten über einen gemeinsamen Weg“ argumentativ ziemlich allein auf weiter Flur. Eingeladen hatte das Münchner Forum Politiker und Wissenschaftler aus der Metropolregion.

Die nackten Zahlen können beinahe Angst machen: Bis zum Jahr 2030 rechnen Experten mit einem Zuzug von 260 000 Menschen in den Großraum München – das entspricht mehr als der doppelten Einwohnerzahl des Landkreises Pfaffenhofen, genau so viele waren es bereits seit 1995. „Plastisch ausgedrückt: Es fährt jeden Tag ein voll besetzter Reisebus in der Region vor und leer wieder ab“, veranschaulicht Heike Piasecki vom bundesweit tätigen Immobilienforschungsinstitut Bulwiengesa.

Gemeinsam mit Herker, der Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk und dem neu gewählten Landrat des Landkreises München, Christoph Göbel (CSU), bildete Piasecki das Podium der vom früheren BR-Redakteur Heiner Müller-Ehrmann moderierten Veranstaltung. Gut 400 Zuhörer, darunter viele Stadtplaner und Kommunalpolitiker, hatten sich eingefunden.

Trotz der insgesamt steilen Wachstumskurve klaffen die Zahlen innerhalb der Europäischen Metropolregion München (EMM) – sie reicht von Ingolstadt im Norden bis Garmisch-Partenkirchen im Süden und von Augsburg im Westen bis Landshut im Osten – freilich ziemlich auseinander. Es gibt wahre Boomtowns wie beispielsweise Hallbergmoos im Landkreis Freising – hier hat sich die Einwohnerzahl in den vergangenen 20 Jahren um mehr als 5000 Neu-Bürger nahezu verdoppelt – und Starnberg, das im gleichen Zeitraum um weniger als zehn Prozent gewachsen ist.

Die Infrastruktur ist auf diesen Menschenansturm freilich schon lange nicht mehr ausgelegt. „Der Verkehrskollaps ist schon da“, meint Heike Piasecki trocken. Der öffentliche Nahverkehr beispielsweise – konzipiert im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1972 und erweitert in den 1980er Jahren – ist auf täglich rund 350 000 Fahrgäste ausgelegt. „Inzwischen nutzen die Busse und Bahnen aber mehr als 850 000 Menschen am Tag – eigentlich ein Wunder, dass das bisher ohne größere Zwischenfälle funktioniert.“

Für Thomas Herker steht deshalb fest: „Wir wollen es nicht soweit kommen lassen wie manche Gemeinden im nördlichen Bereich des Münchner Verkehrsverbunds, die mittlerweile nur noch Schlafstädte sind – und wo sich die Neu-Bürger auch eher als Münchener verstehen.“ Man sei nah genug an der Landeshauptstadt, um davon zu profitieren, aber man möchte den „eigenen Charakter“ von Pfaffenhofen erhalten. „Wir wollen gerne Zuzug – aber ausgerichtet am örtlichen Bedarf.“ In den vergangenen Jahren habe es jährlich etwa 1,5 Prozent Wachstum in der Kreisstadt gegeben – „unser Ziel sind aber etwa 0,5 Prozent. Wir werden nicht mehr auf Zuruf bauen.“

Mit diesem Ziel stieß Herker im Podium allerdings eher auf mäßige Begeisterung, teilweise schlugen ihm Hohn und nur mühsam unterdrückte Empörung entgegen – etwa von Münchens Stadtbaurätin. „Cooles Ziel, nur 0,5 Prozent wachsen zu wollen“, ätzte Merk – um sogleich ihre Sicht der Dinge kundzutun: „Wir brauchen stattdessen die noch stärkere Verflechtung in der Region, alles andere sind Ideen von vorgestern.“ Notfalls sollten eben der Freistaat Bayern und der Bund die Entwicklung stärker koordinieren – was im Klartext auf eine Beschneidung der kommunalen Selbstverwaltung in Fragen von Infrastruktur und Wirtschaftsentwicklung hinausliefe.

Und auch der Münchner Landrat widersprach dem Pfaffenhofener Rathauschef: „Ihre Nachbarn würden vielleicht sehr gern viel stärker wachsen – aber da zieht eben keiner hin, weil die Mobilität so schlecht ist.“ Christoph Göbel malte für den Fall, dass sich Bürgermeister dem scheinbar Unabwendbaren verweigern, ein Horrorszenario an die Wand: „Es werden keine Fachkräfte mehr in den Großraum München kommen, die Überalterung nimmt überhand und die wirtschaftliche und soziale Abwärtsspirale setzt ein.“ Lösungen zu finden, dass sei eben „eine Frage der interkommunalen Bereitschaft“. Herker und seinesgleichen sollten weg von ihrer Vorstellung, dass zusätzliche Angebote – etwa mehr Gewerbeflächen und höhere Taktzeiten beim Regionalverkehr – das Bevölkerungswachstum ungut beschleunigen würden. „Wir brauchen vielmehr die angebotsbezogene Planung“, ist Göbel überzeugt. Man müsse bereitstellen – und sich darüber freuen, wenn es genutzt wird.

Im Publikum freilich, mit seinen zahlreichen aus dem zuwuchernden Münchner Umland stammenden Bürgern, stießen Merk und Göbel auch auf massive Forderungen – etwa nach einem zügigen Ausbau von Verkehrstangenten im MVV, Modernisierungen der Züge und anderen Fahrpreiskonzepten. Nach ihrer Wahrnehmung hat die Lebensqualität im unmittelbaren Stadtgebiet und in den angrenzenden Gemeinden in den letzten Jahren eher gelitten.

Und auch Thomas Herker kontert mit dem Verweis, das solides Wirtschaftswachstum auch aus eigener Kraft möglich ist – und nicht nur im Windschatten von München. „Wir hatten vor Jahren bei uns bis zu 20 Prozent Leerstand bei Gewerbeimmobilien, doch diese Zeiten sind längst vorbei.“ Fast 30 Jahre sei die Auspendlerquote immer nur nach oben gegangen – doch nun stünden qualifizierten Fachkräften auch Jobs vor der Haustür zur Verfügung, „unter anderem im Bereich Biotechnologie und virtual Engineering.“ Die Zahl der ortsansässigen Jobs habe sich seit 2010 um rund zehn Prozent auf 10 000 erhöht. Inzwischen gäbe es täglich 7000 Berufseinpendler nach Pfaffenhofen.