Ingolstadt
Immer wieder Unsicherheiten bei den Zeugen

Anklage Totschlagsversuch: Jugendkammer weiter auf der Suche nach einem klaren Tatablauf

29.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:03 Uhr

Ingolstadt (DK) Die wilde Schlägerei auf der Harderstraße in der Nacht zum 6. April dieses Jahres – wird ihr Ablauf vor dem Landgericht (DK berichtete am Dienstag über den Prozessauftakt) noch in vollem Umfang rekonstruiert werden können? Am gestrigen zweiten Verhandlungstag hat sich die Jugendkammer unter Vorsitz von Präsidentin Sibylle Dworazik weiter durch die umfangreiche Zeugenliste gearbeitet, ohne dass ein einheitliches, klares Bild der Vorgänge zu gewinnen war.

Für die drei angeklagten jungen Männer im Alter von 18 und 19 Jahren geht es um viel: Die Staatsanwaltschaft strebt wegen der angeblich massiven Kopftritte gegen das Opfer bislang eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags an.

Schon am ersten Prozesstag hatten nicht nur die Aussagen der Angeklagten, sondern auch eines unbeschuldigten Mitglieds ihrer Clique darauf hingedeutet, dass auch der später so übel zugerichtete 36-jährige Kurde (etliche Frakturen von Gesichtsknochen) an der Entstehung der Auseinandersetzung gehörig beteiligt gewesen sein könnte. Gestern sagte ein völlig unbeteiligter Zeuge aus, dass der als Haupttäter angeklagte, seinerzeit noch 17-jährige Schüler und der gut doppelt so alte Kurde bereits zuvor in der Shisha-Bar an der Harderstraße aneinandergeraten sein sollen. Die beiden deutlich angetrunkenen Kontrahenten hätten sich gegenseitig geschubst, ohne dass allerdings der Grund hierfür erkennbar gewesen sei.

Zu klären ist noch, ob der Kurde später vor dem Lokal eine dort offenbar aufgefundene leere Bierflasche in die Hand genommen hat, um sie als Waffe zu gebrauchen – und ob dies als Angriffshandlung oder als Verteidigungsmaßnahme zu werten wäre.

Ein aus Vietnam stammender Taxifahrer, der in der Nähe am Straßenrand geparkt hatte und zumindest das Kerngeschehen der Schlägerei gesehen haben will, sprach gestern in gebrochenem Deutsch davon, dass er beobachtet habe, wie diese Flasche vom späteren Opfer in Richtung seiner Kontrahenten geworfen worden sei. Nachfragen von Staatsanwältin Birgit Piechulla, aber erst recht der Verteidiger zur exakten Abfolge der Ereignisse konnte der Zeuge aber – offensichtlich wegen der doch erheblichen Sprachprobleme – nicht mehr klar folgen. Deshalb wird die Jugendkammer seine gestrigen Schilderungen nicht verwerten. Vielmehr soll der Taxler in der nächsten Woche nochmals vernommen werden – dann in Anwesenheit eines Dolmetschers.

Der doch schon erhebliche zeitliche Abstand zum damaligen Geschehen hat auch andere Zeugen, die sich besser ausdrücken können, hinsichtlich ihrer damaligen Beobachtungen und ihrer ersten Aussagen gegenüber der Polizei unsicher werden lassen. Die drei Verteidiger nehmen ihre Arbeit sehr ernst. Sie sind deshalb sichtlich bemüht, jede auch noch so kleine zweifelhafte Angabe zu hinterfragen und so die Glaubwürdigkeit der Zeugen generell infrage zu stellen.

Für Anwälte und Prozessbeobachter überraschend rief die Kammer zum Ende des gestrigen Verhandlungstages noch eine Sicherheitsbeamtin des Gerichts in den Zeugenstand. Sie will beobachtet haben, dass eine Frau – mutmaßlich eine Verwandte eines der Angeklagten – auf dem Gerichtsflur verbal Einfluss auf Zeugen nehmen wollte. Tenor: Man möge doch aussagen, dass die ganze Sache „nicht so schlimm“ gewesen sei. Ob dies juristische Konsequenzen haben wird, steht dahin. Der Prozess wird nächsten Mittwoch fortgesetzt.