Ingolstadt
Im Zeichen der Schnecke

28.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:49 Uhr

Auf der Suche nach Genuss im Einfachen: Rupert Ebner ist neuer Schatzmeister der deutschen Slow-Food-Bewegung. - Foto: Kraus

Ingolstadt (DK) Für Rupert Ebner geht bewusster Genuss über alles. Als Schatzmeister bei Slow Food Deutschland engagiert sich der Ingolstädter Tierarzt für gutes Essen. Genuss ist für den 56-Jährigen mehr als nur guter Geschmack: Es geht ihm um soziale und ökologische Verantwortung.

 "Wenn Shrimps von vietnamesischen Sklavenarbeitern in einem abgeholzten Mangrovenwald gezüchtet werden, dann können sie für uns kein genussvolles Essen sein", erklärt Ebner die Philosophie seiner Bewegung – "auch wenn sie vielleicht in der Sterneküche gut zum Tragen kommen."
 
Slow Food bedeute, dass Essen gut, sauber und gerecht sein sollte, sagt Ebner. "Gerecht heißt, dass die Menschen, die an der Lebensmittelproduktion beteiligt sind, gut bezahlt und ordentlich behandelt werden." Zum Beispiel durch einen fairen Milchpreis. Da sei Slow Food auch ein wenig politisch, räumt der Ingolstädter Tierarzt ein.

 
Sauber bedeute, dass Lebensmittel handwerklich hergestellt werden und dabei auf Substanzen verzichtet wird, "die mit der eigentlichen Produktion nichts zu tun haben", sagt Ebner – etwa unnötige technische oder aromatische Hilfsstoffe. "Wenn Sie heute eine Bratwurst kaufen, ist da meistens Glukose drin." Diese sorge dafür, dass die Wurst beim Braten schneller braun wird, habe aber nichts darin zu suchen.

Nach dem Slow-Food-Gedanken reicht es aber nicht, wenn Essen sauber und gerecht hergestellt wird. Es sollte auch gut schmecken. "Viele denken, es ist okay, wenn es ,öko‘ ist", sagt Ebner. Darin unterscheide sich Slow Food von ökologischen Bewegungen, die bei der Ernährungsphilosophie oft "Geschmack und Genuss vernachlässigt" hätten. Rupert Ebner drückt es drastisch aus: "Ein konventioneller Betrieb, der mit den Tieren gut umgeht, ist mir lieber als ein Ökobetrieb, in dem die Tiere nur im Dreck stehen."

Wegen Problemen mit der überholten Vereinssatzung war der alte Vorstand von Slow Food Deutschland im vergangenen Jahr zurückgetreten. "Wir hatten immer eher Genießer statt Strategen als Vorsitzende", formuliert es Ebner diplomatisch. Er wurde im Frühjahr als langjähriger Kassenprüfer schließlich zum Schatzmeister gewählt. Sein Büro für dieses Amt hat er daheim im Ingolstädter Wohn- und Esszimmer eingerichtet.

Bewusstes Essen dürfe nicht mit Luxus verwechselt werden. "Das Ziel von Slow Food heißt nicht Spitzengastronomie, sondern regionale, preiswerte Küche", betont Ebner. "Der Genuss soll in der Einfachheit liegen." Für ihn als gebürtigen Schwaben würden Kässpatzn oder eine Leberknödelsuppe zu den besten Gerichten überhaupt gehören.

Das Wappentier der Bewegung ist eine Schnecke, als Symbol für Langsamkeit und Zerbrechlichkeit und "Gegensymbol zum Fastfood", erklärt der Ingolstädter Landtierarzt. Mit Schnecken essen habe Slow Food deswegen aber nicht zwangsläufig etwas zu tun. "Das hat keinen kulinarischen Hintergrund." Trotzdem setzt sich der Verein für Weinbergschnecken als Lebensmittel ein. Eine Unterart aus der Schwäbischen Alb ist sogar Passagier der Arche des Geschmacks, einer Art Roten Liste kulinarischer Genüsse. Dieses Projekt von Slow Food soll ausgewählte regionale Speisen, Nutztier- und Nutzpflanzenarten, die in ihrer Existenz bedroht sind, erhalten und fördern. Zwischen Bamberger Hörnla und Ostheimer Leberkäs findet sich auf der Passagierliste auch Ebners Leidenschaft: das Murnau-Werdenfelser Rind. Er züchtet diese bedrohte bayerische Haustierrasse seit ein paar Jahren in einem Moorrenaturierungsgebiet bei Hollenbach (Landkreis Aichach-Friedberg). Inzwischen hat er "48 Kopf Vieh, also schon eine schöne Herde". Das Fleisch der Tiere eigne sich gut für Braten und Suppen, sagt Ebner. Und es schmecke, wie Rindfleisch schmecken soll. "Das hat noch etwas mit meinen Kindheitsgeschmacksempfindungen zu tun", schwärmt er für seine Zucht.

Was mundet, ist subjektiv. Nach Ansicht Ebners sollte der Geschmack von Lebensmitteln aber nicht uniform, sondern vielfältig und damit spannend sein. "Der Geschmacksvielfalt des Apfels ist sich niemand mehr bewusst", klagt der Slow-Food-Schatzmeister. Auch bei der Kartoffel, seiner Ansicht nach eines der besten Produkte der Region, sieht er einen ähnlichen Trend: "Der Kartoffelpreis hängt heutzutage von der Waschbarkeit der Kartoffel ab anstatt vom Geschmack." Der Käufer lege Wert auf eine helle Farbe der Knolle – je konformer desto besser.