Im Keller der deutschen Geschichte

Bemühtes Nachkriegs- und Wendedrama zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit: Meret Becker und Mark Waschke ermitteln im Berliner "Tatort"

02.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:32 Uhr
Kommissarin Nina Rubin (Meret Becker) recherchiert zum Thema "Hitlerjugend". −Foto: Erhard, rbb

Berlin - 30 Jahre Deutsche Einheit.

Eine Woche lang ist das Thema im TV rauf- und runtergenudelt worden. Klar, dass der "Tatort" da nicht hintanstehen darf. Leider verquirlt er dabei am Tag nach dem Nationalfeiertag - gewiss in bester Absicht - dermaßen viele Sujets miteinander, dass am Ende vor allem deutscher Einheitsbrei rauskommt.
Zunächst sehen wir in "Ein paar Worte nach Mitternacht" die filmische Begegnung von zwei Mitgliedern einer bekannten Schauspielfamilie. Kommissarin Nina Rubin (Meret Becker) findet ihren Vater erschossen auf seiner schönen Berliner Dachterrasse auf. Natürlich nicht ihren Filmpapa, nein, den leibhaftigen. Rolf Becker, bewährter Bösewicht vergangener Tage und im wahren Leben erst schlanke 85 Jahre alt, spielt den Bauunternehmer Klaus Keller, der just am Tag seines 90. Geburtstags eine Kugel in den Kopf bekommen hat. Um seinen Hals hängt ein Schild. Darauf steht: "Ich war zu feige, für Deutschland zu kämpfen. " Der alte Weltkriegssoldat Keller hatte sich die Versöhnung mit dem Judentum ganz groß auf die Fahnen geheftet, seine längst vom Sohnemann (Stefan Kurt) geleitete Firma ist gerade dabei, ein Holocaust-Dokumentationszentrum in Israel zu bauen. Für Ermittlerin Rubin höchst naheliegend, dass der Gutmensch zum Opfer verblendeter Rechtsextremisten geworden ist. Kein Fall für die Kripo, sondern für den Staatsschutz.
Kollege Robert Karow (Mark Waschke) sieht das ein bisserl anders, und die fällige Beleuchtung der Großfamilie Keller ergibt: Hier vereinen sich die Dramastoffe der deutschen Geschichte ab 1939 auf fatale Weise. Kriegsverbrechen, Schuld und Sühne, alte und neue Nazis, Antisemitismus, Großkapitalismus, Stasi-Spitzeltum, DDR-Erbe, Wendegewinner und -verlierer. Dazu kommen noch: eine falsche Spur zum Rechtsterrorismus, Vater-Sohn-Konflikte vom Feinsten und Gemeinsten sowie zwei durch den Berliner Mauerbau getrennte Brüder, die sich auch nach der Wende nicht mehr in die Augen schauen wollen. Kurz nach dem Tod von Klaus Keller folgt ihm Ossi-Bruder Gert (Friedhelm Ptok) ins Nirwana, indem er sich vom Balkon eines Krankenhauses stürzt.
Die Auflösung all dieser Verwicklungen ist für einen Krimi eher ungewöhnlich - und doch nicht sehr überraschend, wenn man brav aufgepasst und gelernt hat, 1 und 1 zusammenzuzählen. Der sonst so clevere Karow und Partnerin Rubin haben diesmal allerdings Probleme mit den kriminalistischen Grundrechenarten und kapieren erst spät, was hinter dem Keller-Kopfschuss steckt. Für sie gilt ebenso wie für "Tatort"-Regie-Debütantin Lena Knauss das Arbeitszeugnis: Man hat sich bemüht.

DK


Der "Tatort: Ein paar Worte nach Mitternacht" läuft am Sonntag, 4. Oktober, 20.15 Uhr, in der ARD.

Roland Holzapfel