Die Konzertsaal-Stradivari

Der Reitstadel in Neumarkt ist ein Geheimtipp für Klassikfreunde: Die Künstler sind durchweg Stars, die Akustik ist Weltklasse

02.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:32 Uhr
Countertenor Philippe Jaroussky (oben) schwärmt von dem Konzertsaal im Reitstadel, Klarinettist Jörg Widmann und Pianist András Schiff spielen dort Werke von Johannes Brahms auf CD ein. Das hochkarätige Programm gestaltet Ernst-Herbert Pfleiderer (rechts). −Foto: Gehrmann, Etzold, Distler

Neumarkt - Um plastische Worte ist der Unternehmer und Konzertveranstalter Ernst-Herbert Pfleiderer (77) nicht verlegen: "Da bekam der Oberbürgermeister Hosenflattern", erzählt er.

Gemeint war Kurt Romstöck, der wie so viele Neumarkter total überrascht war 1981 bei der Einweihung des Reitstadels in Neumarkt. Erwartet wurde ein normaler Konzertsaal, wie er einer 40 000-Einwohner-Kreisstadt angemessen wäre. Bekommen haben die verblüfften Bürger eine Art Konzertsaal-Stradivari. Denn die Akustik in dem kunstvoll gestalteten Saal ist schier überwältigend. "Das ist einer der drei besten Kammermusiksäle Europas", sagt Pfleiderer selbstbewusst.

An der Errichtung dieses außergewöhnlichen Konzertortes hat der Holzwerkstoff-Unternehmer erheblichen Anteil. Bereits im Vorfeld lag Pfleiderer dem Oberbürgermeister in den Ohren, er möge den wiederaufgebauten Saal aus dem 16. Jahrhundert nicht wie sonst meist üblich als Mehrzweckhalle gestalten, sondern gleich als Konzertsaal. "Das war natürlich unpopulär, aber Romstöck hat das auf seine Kappe genommen. " Entsprechend wurden hohe akustische Maßstäbe angelegt. Das Resultat war so offensichtlich herausragend, dass es bei den Neumarktern zunächst Ratlosigkeit hervorrief. "Da müssen wir etwas machen", sagte der Oberbürgermeister. Und Pfleiderer nahm ihn beim Wort. "Ich habe die wichtigsten Unternehmer der Region zusammengetrommelt und habe einen Förderkreis gegründet", erzählt der Konzertveranstalter. "Wir wollten eine Konzertreihe gründen, nur mit den besten Musikern unserer Zeit. "

Ein solches Projekt konnte natürlich nicht nur mit Eintrittsgeldern finanziert werden. Schließlich sollten auch weniger finanzstarke Musikfreunde die Möglichkeit haben, herausragende Konzerte zu besuchen. Inzwischen gibt es den Förderkreis seit 39 Jahren fast unverändert, lediglich zwei der ursprünglich zehn Unternehmer sind seitdem ausgetreten. Ursprünglich hat die Firma Pfleiderer die noch fehlenden Beträge großzügig übernommen - "etwa zwei Drittel des Zuschussbedarfs", erklärt der musikliebende Unternehmer. Als seine Firma allerdings an die Börse ging, hat Pfleiderer eine Kulturstiftung gegründet, die auch in Zukunft die Konzertreihe zu finanzieren vermag.

Und die hat es in sich. Allein wenn man die laufende Saison betrachtet, die diese Woche mit einem eindrucksvollen Konzert mit dem Geiger Frank Peter Zimmermann eröffnet wurde, gehen einem die Augen über. Da ist ein Streichquartett-Zyklus mit Quatur Ébène und dem Hagen Quartett geplant, da sind Solisten eingeladen wie der Klarinettist Martin Fröst und der Pianist Vikingur Ólafsson, der Gambist Jordi Savall und Orchester wie Il Giardino Armonico. Kurz: Das Beste ist hier gerade gut genug.

So weiß Konzertveranstalter Pfleiderer, selbst nicht nur ein studierter Betriebswirt, sondern auch Cellist, gar nicht, wo er anfangen soll, wenn er von seinen Lieblingskonzerten erzählen soll. Beiläufig erwähnt er, dass hier noch Legenden wie Alfred Brendel oder Claudio Arrau wirkten. Gidon Kremer habe hier Beethovens "Kreutzersonate" so atemberaubend intensiv interpretiert, dass die Leute heute noch davon sprächen. Mit dem Cellisten Heinrich Schiff verband ihn eine langjährige Freundschaft ("Er hat den Saal psychologisch ausgelotet. "). András Schiff was unzählige Mal hier und konzipiert mit ihm zusammen Konzerte. Alfred Brendel hat einen der beiden Konzertflügel für den Saal ausgesucht. Denn: "Wir müssen überdurchschnittliche Superflügel haben. " Und der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann gehört ebenso zum engsten Künstler- und Freundes-Zirkel des Industriellen.

Kein Zweifel: Die Musiker lieben diesen Saal. Und so verwundert es nicht, dass auch schon bald nach der Eröffnung in den 80er Jahren der Raum zunehmend für CD-Aufnahmen verwendet wurde. So hat Brendel hier Schubert eingespielt, Frank Peter Zimmermann Mozart-Violinsonaten, Igor Levit seine gerade hochgelobte CD-Box mit Beethoven-Sonaten. Hélène Grimaud und Mitsuko Uchida haben hier CDs produziert, ebenso Giörgy Kurtag und Christian Gerhaher. "Der Saal ist eigentlich ständig ausgebucht", sagt Geschäftsführerin Iris Dorn.

Geschätzt werden Saal und Konzertreihe natürlich besonders vom Publikum. Und die Künstler wiederum lieben ihr Publikum. "Es ist das beste der Welt", davon ist Pfleiderer überzeugt - was Fachkenntnis beträfe ebenso wie Konzentration während des Konzerts und Empathie mit den Musikern. Nahezu 500 Besucher fasst der Reitstadel, 97 Prozent der Reihe ist durch Abonnement belegt. So bleiben fast bei keinem Konzert noch Sitze leer. Derzeit, zu Corona-Zeiten, geben die Künstler jedes Programm viermal. Im freien Verkauf werden überhaupt keine Karten mehr angeboten. Es gibt Wartelisten für die Interessenten.

Denn der Ruf des Reitstadels ist groß. Im Umkreis von 100 Kilometern kommen die Abonnenten regelmäßig angereist, also auch aus Nürnberg, Regensburg und sogar München, erzählt Geschäftsführerin Iris Dorn. Nur in Richtung Ingolstadt ist die Anzahl der Konzertbesucher eher dünn gesät. Wenn kleine Festivals veranstaltet werden, kommen die Gäste sogar aus Wien oder der Schweiz.

Und auch das jüngere Publikum besucht die Konzerte. Die Veranstalter haben ein Abkommen mit dem Neumarkter musischen Gymnasium getroffen. So haben interessierte Schüler die Möglichkeit, ein Jahr lang hervorragende Konzerte zu einem sehr günstigen Sonderpreis zu besuchen.

Im kommenden Jahr wird Jubiläum gefeiert. Und Ernst-Herbert Pfleiderer möchte deshalb auch einmal mit großer Besetzung in den Reitstadel. Béla Bartóks 3. Klavierkonzert haben er und sein Freund András Schiff sich vorgenommen. Es spielt das berühmte Budapest Festival Orchestra. "Das kriegen wir auf die Bühne", betont er, "wir haben das ausgerechnet. " Wenn es zu "massiv wird, fliegen die Wände des Stadels heraus", meint der Konzertveranstalter. Aber man könne ja auch strukturiert und feinsinnig spielen. Und das ist bei den Musikern, die regelmäßig im Reitstadel auftreten, ohnehin der Fall.

DK


Weitere Informationen unter neumarkter-konzertfreunde. de.

Jesko Schulze-Reimpell