Ingolstadt
"Im Grunde sind alle Gegner chancenlos"

Michael Henke, Co-Trainer des FCI, hat acht Jahre beim FC Bayern gearbeitet – Wiedersehen am Samstag

09.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:26 Uhr

Fünfmal Meister mit den Bayern: Michael Henke erlebte als Co-Trainer beim Rekordmeister seine erfolgreichste Zeit. Unser Bild zeigt den heute 58-Jährigen 1999 mit der Meisterschale auf dem Münchner Marienplatz. Außerdem gewann Henke mit den Münchnern dreimal den DFB-Pokal und 2001 die Champions League. Arch - foto: Speck/Witters

Ingolstadt (DK) Seine Titelsammlung ist mehr als beachtlich. Michael Henke, heute Co-Trainer des FC Ingolstadt, hat als Assistent von Ottmar Hitzfeld bereits 1997 mit Borussia Dortmund die Champions League gewonnen. Noch erfolgreicher war seine Zeit beim FC Bayern München, wo der heute 58-Jährige mit Unterbrechungen zwischen 1998 und 2009 insgesamt acht Jahre unter Vertrag stand. Erneut an der Seite von Hitzfeld gewann Henke mit den Bayern fünf Meistertitel und holte dreimal den DFB-Pokal. In der Champions League triumphierte er 2001, erlebte 1999 aber auch die tragische Finalpleite gegen Manchester United (1:2). Vor dem Bundesliga-Duell des FCI bei den Bayern (Samstag, 15.30 Uhr) blickt Henke zurück.

Herr Henke, Sie haben sich 2008, vor Ihrem dritten Engagement in München, als „Fan des FC Bayern“ geoutet. Fällt es Ihnen schwer, gegen Ihren Ex-Verein anzutreten?

Michael Henke: Ich bin bislang tatsächlich erst einmal, mit dem 1. FC Köln, zu den Bayern zurückgekehrt. Damals haben wir in München unentschieden gespielt und Bastian Schweinsteiger hat mich anschließend im Spaß beschimpft: „Mensch Henki, du mit deinem Sch...-System.“ Wir sind den Bayern sehr defensiv begegnet und haben ihnen damit etwas den Zahn gezogen.

 

Vielleicht können Sie am Samstag wieder für eine Überraschung sorgen . . .

Henke: Ja, vielleicht ist das Köln-Spiel ein gutes Omen (lacht). Aber im Ernst: Ich freue mich auf die Rückkehr, weil ich natürlich immer noch viele Leute kenne und gerne wiedersehe. Und dann macht es natürlich auch Spaß, Freunde im sportlichen Sinne ein bisschen zu ärgern. Auch wenn man eigentlich sagen muss, dass die Bayern in der Bundesliga im Grunde unschlagbar sind.

 

Sportlich stechen aus Ihrer Zeit bei den Bayern die beiden Champions-League-Finals heraus. Waren das auch für Sie persönlich die Highlights?

Henke: Natürlich, auch weil man beide im Zusammenhang sehen kann. Das Finale 2001 hatte vor allem deswegen eine so große Bedeutung, weil das Endspiel 1999 auf so dramatische Art in die Hose gegangen war. Es war aber nicht nur für den Verein etwas Besonderes, sondern auch für mich als kleiner Michael Henke, schließlich gibt es im Vereinsfußball nichts Größeres.

Die 99er Niederlage gegen Manchester United ist als „Mutter aller Niederlagen“ in die Fußball-Geschichte eingegangen. Wie haben Sie die 103 Sekunden erlebt, in denen aus der 1:0-Führung eine 1:2-Niederlage wurde?

Henke: Fassungslos. Nach dem 1:1 habe ich noch gedacht: Okay, jetzt müssen wir uns sammeln und eben etwas Gutes für die Verlängerung überlegen. Dann schlägt es noch mal ein und plötzlich war alles weg. An das Drumherum, wie die Auswechslung von Lothar Matthäus, in dessen Folge dann wenig später das erste Gegentor fällt, kann ich mich auch noch gut erinnern.

 

Sportlich gibt es vermutlich nichts Schlimmeres, oder?

Henke: Nein, denke ich nicht. Selbst meine damals noch recht kleine Tochter hat auf der Tribüne nur geheult, weil sie mitbekam, dass da großer Mist passierte. Auf so einer Ebene, in einem Finale um den höchsten Vereinstitel in Europa, kann es wohl nicht dramatischer zugehen.

 

Als Co-Trainer waren Sie nah an der Mannschaft. Wenn im letzten Spiel einer Saison so etwas passiert, wie entlässt man seine Spieler in die Sommerpause?

Henke: Naja, die Stimmung anschließend in der Kabine war natürlich eine Katastrophe, das Bankett danach auch. Der eine oder andere hat gegen den Frust vielleicht ein Bierchen gebraucht, jeder hatte da seinen eigenen Weg, das zu verarbeiten. Wir haben dann aber für den nächsten Tag noch mal ein Essen angesetzt, weil man die Jungs so nicht weglassen konnte. Cheftrainer Ottmar Hitzfeld fand dann beim Trainingsauftakt sofort die richtigen Worte, hat die Mannschaft wieder gepackt, was meiner Meinung nach in den Titel 2001 mündete.

 

Viele Spieler brauchten den Titel, um die Niederlage von 19999 überhaupt zu verarbeiten.

Henke: Das ist richtig. In der Regel gelingt einem so etwas ja nicht. Man darf nicht vergessen, dass das damals etwas ganz Besonderes war, überhaupt ins Finale zu kommen. Gerade in der Saison 2001 hat sich auf dem Weg ins Endspiel eine Art Trotz entwickelt. Selbst beim Finale in Mailand, als zu Beginn auch nicht alles für uns lief, hatte ich einen so starken Glauben, so eine Überzeugung, dass wir das schaffen würden, wie ich es als Trainer nie mehr erlebt habe.

 

Erst mit dem 16. Elfer, den Oliver Kahn gehalten hat, fiel die Entscheidung. Den 15. hatte zuvor der heutige FCI-Sportdirektor Thomas Linke für die Bayern verwandelt. Hatten Sie ein gutes Gefühl, als der Innenverteidiger anlief?

Henke: (lacht) Also der Thomas war schon damals eine coole Socke, das muss man sagen. In so einer Situation entscheidet ja nicht unbedingt die Schusstechnik, sondern eher der Kopf. Die Gabe hatte er auch damals schon, vielleicht, weil er als letzter Mann ohnehin ständig mit Druck umgehen musste. Wir jedenfalls hatten ihn so eingeschätzt, wenngleich wir im Elfmeterschießen mit jedem Schützen gezittert haben.

 

Der FC Bayern bewegt sich seit dieser Zeit nahezu konstant auf extrem hohem Niveau. Oft ist vom „Bayern-Gen“ die Rede. Wie würden Sie das Erfolgsrezept des Klubs beschreiben?

Henke: Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass es beim FC Bayern nie Zufriedenheit gibt. So ausgeprägt habe ich das nirgendwo sonst erlebt. Ausgangspunkt war immer wieder Uli Hoeneß, der auch nach einem schlechten Vorbereitungsspiel aus der Haut fahren konnte – selbst wenn man kurz davor die Champions League gewonnen hatte. Beim FC Bayern war man immer großzügig mit Prämien und mit Lob, aber schon bei der nächsten Aufgabe hatte man nichts mehr von diesen Erfolgen und wurde nicht geschont.

 

Auf der emotionalen Ebene haben Sie als Trainer beim FC Bayern vermutlich die höchsten Ausschläge erlebt. Worin liegt dann für Sie der Reiz, nun als Co-Trainer beim kleinen FC Ingolstadt zu arbeiten?

Henke: Zum einen versucht man in seinem Berufsleben ja gerne, vieles zu erleben und sich nicht unbedingt zu wiederholen. Wobei der Gewinn von Meisterschaften und Pokalen natürlich immer reizvoll bleibt. Aber für mich persönlich sind Erfolge mit dem aufstrebenden FC Ingolstadt ähnlich einzuordnen wie Erfolge mit dem FC Bayern. Als ich hierherkam, standen wir in der Zweiten Liga im unteren Drittel. Dass wir dann so schnell aufsteigen und uns jetzt in der Bundesliga so gut verkaufen, das sind außergewöhnliche Erlebnisse für mich.

 

Es muss für Sie also nicht immer das höchste Niveau sein?

Henke: Nein. Man darf nie vergessen, welche Bedingungen man zur Verfügung hat. Wir sind zum Beispiel die einzige Mannschaft, die Gladbach unter Trainer Schubert Punkte abgenommen hat. Dann unser Sieg gegen Frankfurt, die guten Auftritte gegen Wolfsburg und Schalke – all das sind für mich Riesenerfolge.

 

Beginnen Sie dann auch schon von einem Sieg am Samstag gegen die Bayern zu träumen?

Henke: Nein, nicht wirklich (lacht). Die Bayern sind der Liga so weit enteilt, dass im Grunde alle Gegner chancenlos sind. Bei allem Respekt vor den Gladbachern, die hätten bei ihrem 3:1-Sieg in der ersten Halbzeit eigentlich schon 0:3 zurückliegen müssen. Von der Papierform ist Ingolstadt in München so chancenlos, dass man das in Prozentzahlen gar nicht ausdrücken kann. Für Bayern wäre ein Unentschieden schon eine Katastrophe, uns bleibt nur die Formel: „Du hast keine Chance, also nutze sie.“

 

Das Gespräch führte

Norbert Roth.