Ingolstadt
Im Festivalrausch

Frauenpower bei den Sommerkonzerten: Das Leitungsteam zieht Bilanz nach Ende der Konzertreihe

16.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:29 Uhr
Frauenpower bei den Sommerkonzerten: Das Leitungsteam zieht Bilanz nach Ende der Konzertreihe −Foto: Sauer

Ingolstadt (DK) Frauenpower bei den Audi-Sommerkonzerten. Zum ersten Mal wurde das Ingolstädter Festival von drei Frauen geleitet: dem Geigenstar Lisa Batiashvili und zwei Co-Leiterinnen, Ruth Schwerdtfeger, die bereits im vergangenen Jahr die Sommerkonzerte geleitet hat, und Sarah Braun. Im Interview erläutern die beiden musikalischen Audi-Mitarbeiterinnen, wie sie den Job gemeinsam angehen und welche Konzerte ihnen am besten gefallen haben.

Frau Braun, Sie haben zum ersten Mal die Audi-Sommerkonzerte mitgeleitet. Wie hat Ihnen die Arbeit gefallen?
Sarah Braun: Das macht mir großen Spaß, weil es eine Zeit großer Intensität ist. Es ist ein kurzer Zeitraum, in dem unglaublich viel stattfindet, man sehr viele Menschen kennenlernt und trifft, meistens schönes Wetter hat und so in einen Festivalrausch kommt. 

Frau Schwerdtfeger, Sie gestalten zum zweiten Mal die Sommerkonzerte mit. Was hat Sie am meisten überrascht?
Ruth Schwerdtfeger: Eine besondere positive Überraschung war, wie gut die Betriebsversammlungshalle von Audi im GVZ angenommen wurde. Als Veranstaltungsraum allgemein: weil die Halle nicht im Stadtzentrum liegt und nicht als Konzertraum bekannt ist, schon gar nicht für klassische Musik. Bei unserem Eröffnungskonzert war sie dann fast bis zum letzten Platz belegt. 
Braun: Und das ohne Aufzug. 

Es gab noch einen anderen Ort, der bisher noch nie für Konzerte genutzt wurde: das Audi Museum mobile. Wie kam der beim Publikum an?
Braun: Fantastisch. Wir haben bewusst drei Konzerte in diesen Saal gelegt, zwei Triokonzerte und ein Gesprächskonzert mit Alfred Brendel, das sogar vom Festsaal verlegt wurde. Wir waren gespannt, wie die besondere Akustik von den Künstlern und Besuchern angenommen wird. Aber auch hier war die Resonanz sehr positiv. 

Wie sieht es mit dem Festsaal aus. Der ist bekanntlich sehr groß und nicht so leicht zu füllen. Der  letzte große Künstler, der hier für ein ausverkauftes Haus gesorgt haben war  Cameron Carpenter. 
Schwerdtfeger: Beim Filmkonzert mit dem Organisten Carpenter im letzten Jahr war der Festsaal in der Tat zu klein, auch die Leinwand musste ja ihren Platz finden. Für unser diesjähriges Filmkonzert „Fantasia“ sind wir daher bewusst in die Halle B gegangen, damit hätten wir den Festsaal nämlich gleich zwei Mal gefüllt. 

Wie wichtig ist es denn für die Sommerkonzerte, dass die Säle ausverkauft sind?
Braun: Wir wollen natürlich möglichst viele Menschen erreichen. Auch für die Künstler ist das wichtig, die spielen nicht gerne vor einem halbleeren Saal. Aber man muss unterscheiden, ob ein Festival immer nur dann erfolgreich ist, wenn die großen Säle voll sind. Da würde ich differenzieren. Die programmatische Vielfalt eines Festivals richtet sich ja immer auch an unterschiedliche Zielgruppen. Und anders als ein Konzertsaal hat ein Festival gerade die Möglichkeit, Musik an unterschiedlichsten Orten stattfinden zu lassen von ganz groß bis ganz klein. Diese Bandbreite haben wir in diesem Jahr auch wieder gezeigt mit den Audi-Klassik-Open-Air-Konzerten im Klenzepark, wo 12 000 Besucher trotz schwieriger Wetterverhältnisse kamen. Die intimen Kammermusikkonzerte haben wir erstmals auf der Sonderausstellungsfläche im Museum mobile mit 320 Sitzplätzen veranstaltet. Die waren sehr gut verkauft und wären nichts für einen großen Saal gewesen. Bei den Wohnzimmerkonzerten sprechen wir von Publikumsgrößen von 15 bis 30 Leuten. 

In kleinen Sälen kann auch manchmal eine besondere Intensität des Musizierens vermittelt werden. Ist es für die Sommerkonzerte auch ein Ziel, solche Erlebnisse zu ermöglichen?
Schwerdtfeger: Ja. Beim Triokonzert mit Lisa Batiashvili im Museum mobile konnten wir dem Publikum eine große  Nähe zu den Musikern vermitteln. So war es für die Zuhörer möglich, ihnen bis ins letzte Detail zu folgen, mit ihnen zu atmen, die einzelnen Haare vom Geigenbogen zu sehen. 

Viele der großen Stars reisen herum und liefern überall das gleiche Programm ab. Sollte ein Festival wie die Sommerkonzerte sich auf so etwas einlassen? 
Schwerdtfeger: Wir möchten natürlich für unser Publikum individuell gestaltete Konzerte bieten. Und ich denke, das haben wir in diesem Jahr ganz gut erreicht. Das Eröffnungskonzert mit dem Disney-Film „Fantasia“ gab es wirklich nur hier. Oder das Trio mit Lisa Batiashvili hat nur hier gespielt. Daneben haben wir nahezu alle Konzerte eigens für die Sommerkonzerte konzipiert, etwa den Abend mit Brendel. Dieser große Künstler hat sich sehr genau mit dem Festival-Motto „Fantastique!“ auseinandergesetzt und das Publikum an seinen Gedanken teilhaben lassen. Auch das ist einzigartig.

Sollte ein Festival nicht auch die Ingolstädter Gegebenheiten, von der Historie bis hin zu den Künstlern des Ortes, mitberücksichtigen?
Schwerdtfeger: Aufgabe eines Festivals ist es vor allem, etwas zu bieten, was vor Ort sonst nicht stattfindet. Wichtig ist auch, dass die Welt nach Ingolstadt kommt, mit bedeutenden Musikern, die hier sonst nicht unbedingt spielen. 

Fast alle klassischen Musikveranstalter sind heute daran interessiert, ein jüngeres Publikum zu erreichen.
Schwerdtfeger: Das wollen wir natürlich auch, und das tun wir auch. Von den zehn großen Konzerten waren drei absolut familienfreundlich: das Eröffnungskonzert mit dem Film „Fantasia“ und die beiden Klassik-Open-Airs im Klenzepark. Darüber hinaus würden wir uns wünschen, dass Eltern ihre Kinder auch in die regulären Konzerte mitnehmen. Das Festival bietet dafür attraktive Kartenpreise.
Aber ein eigenes Kinder- und Jugendprogramm existierte nicht.
Schwerdtfeger: Wie gesagt möchten wir mit dem  Festival dieser Stadt das bieten, was über das Jahr nicht unbedingt zu erleben ist. Das Georgische Kammerorchester Ingolstadt hat mit der Kinderkonzertreihe innerhalb seiner Saison ein wunderbares Konzertprogramm für Kinder. Auch die anderen Kulturinstitutionen und Initiativen wie das Theater oder der Konzertverein leisten in diesem Bereich hervorragende Arbeit. 

Eine Möglichkeit, ein junges Publikum anzusprechen, ist auch, Konzerte in anderen, ungewöhnlicheren Formaten anzubieten. Wie viel Experiment benötigen die Sommerkonzerte?
Braun: Was ist ein Experiment? Ein Klassik-Open-Air mit einer historisch informierten Version der „Symphonie Fantastique“ von Berlioz zu beenden, ist das etwa nicht experimentell? 

Braucht ein Festival ein Alleinstellungs-Merkmal?
Schwerdtfeger: Ob das wirklich nötig ist, sei dahingestellt. Aber die Sommerkonzerte haben mindestens zwei. Sie  sind das einzige Festival, das von einem großen Konzern veranstaltet wird. Und die Audi-Sommerkonzerte haben Lisa Batiashvili als Festivalleiterin. 
Braun: Dieses Festival existiert seit fast 30 Jahren, in dieser Zeit gab es Werkhallenkonzerte, die niemals stattgefunden hätten, wenn Audi nicht Veranstalter gewesen wäre. Dass man einen industriellen Kontext so nah an Kultur heranbringen kann, ist ein Alleinstellungsmerkmal. Daher ist es ein sehr besonderes Festival. Das ist etwas, womit sich die Audi-Sommerkonzerte über die Region hinaus einen Namen gemacht haben. 

Über die Grenzen der Region hinaus bekannt, sagen Sie. Wie wichtig ist denn für dieses Festival eine Resonanz, die weit nach draußen strahlt – etwa in Form von Besuchern, die extra zu den Sommerkonzerten anreisen. 
Schwerdtfeger: Das ist wichtig. 

Und wie gut gelingt das?
Schwerdtfeger: Gut. Es geht aber nicht nur um die Gäste, die uns besuchen, sondern auch um die Künstler, die hier auftreten. Wenn die Künstler sich hier wohlfühlen und die wunderschöne Stadt erleben, dann ist das für das Festival sehr wichtig. Es zählt nicht nur, dass wir viele Besucher aus Hannover oder Berlin gewinnen, sondern wichtig ist auch, dass Künstler weitertragen, dass hier in Ingolstadt etwas kulturell Spannendes geschieht. Auch die Künstler sind unsere Botschafter. 

Ist es denkbar, dass im Rahmen der Sommerkonzerte auch Festivalreisen angeboten werden?
Schwerdtfeger: In der Vergangenheit wurde auch mit Reiseveranstaltern zusammengearbeitet. Wir sind jetzt sehr gespannt auf die Ergebnisse unserer diesjährigen Besucher-Umfrage, bei der wir anonymisiert auch Postleitzahlen erfasst haben. Unser erster Eindruck ist schon, dass der Radius der Besucher bereits größer wird. 
Braun: Da spielt Festivalleiterin Batiashvili eine große Rolle. Sie zieht ein wichtiges internationales Publikum an. Wir hatten viele interessante Leute hier, die gekommen sind, um sich ein Bild vom Festival zu machen.

Erstmals haben die Sommerkonzerte eine künstlerische Leiterin, Lisa Batiashvili, und Sie beide als  Co-Leiterinnen. Wie klappt denn da die Zusammenarbeit?
Braun: Hervorragend.
Schwerdtfeger: Fantastisch natürlich. 
Braun: Wir sind alle drei Mütter. Lisas Kinder sind schon etwas älter. Da ist es unfassbar gut zu wissen, dass die Kolleginnen ….
Schwerdtfeger: … in der gleichen Lebenswelt stecken. 
Braun: (lacht) Und zum Glück sind unsere Kinder nur abwechselnd krank. 
Schwerdtfeger: Wir haben die gleiche Vision von den Sommerkonzerten. 
Braun: Wir haben auch den gleichen Geschmack.
Schwerdtfeger: Auch beim Visuellen, bei der Vermarktung, wie wir das Festival positionieren wollen, haben wir alle den gleichen Ansatz.
Braun: Auch wenn wir verschiedene Ideen reinbringen. Wir sind manchmal nicht einer Meinung, aber das ergibt konstruktive Diskussionen. Das ist eine bereichernde Erfahrung. 

Wie läuft das konkret.
Schwerdtfeger: Die großen konzeptionellen Entscheidungen fällen wir drei zusammen.

Treffen Sie sich dann?
Schwerdtfeger: Ja, oder wir nutzen Skype.
Braun: Hier in Ingolstadt sind Ruth und ich im wöchentlichen Wechsel. Das ist klassisches Job-Sharing.
Schwerdtfeger: Das funktioniert gerade bei einem Festival hervorragend. Denn es gibt Stoßzeiten während der Festivalzeit, wo wir beide zeitweise voll durchpowern. Später können wir das wieder ausgleichen. 

Sie haben beide Ihren Hauptwohnsitz nicht in Ingolstadt, sondern in Luxemburg beziehungsweise in Berlin. Verliert man dann nicht die Bodenhaftung, den Anschluss an die Befindlichkeit des Ortes Ingolstadt?
Schwerdtfeger: Wir haben beide eine Zeit lang in Ingolstadt gelebt, wir haben Freunde hier, unsere Kollegen. Und wir sind ja immerhin jede zweite Woche vor Ort. 
Braun: Wir nehmen aber auch sehr stark das Kulturleben in unserem Hauptwohnsitz wahr, und die Erfahrungen, die wir dort machen, bringen wir bei den Sommerkonzerten ein.

Warum ist es besser für Sie, in Ingolstadt zu arbeiten als in Luxemburg oder Berlin, wo es  sicher auch interessante Stellen gibt?
Schwerdtfeger: Weil wir dann diesen wunderbaren Job nicht machen könnten.

Was lieben Sie an Ingolstadt?
Schwerdtfeger: Die kurzen Wege. Alles Wichtige hier ist dicht beieinander, man verliert nicht so viel Zeit.
Braun: Ich liebe die wunderbaren Biergärten im Sommer, diese freundliche Art, einen Abend zu verbringen.

Welches Konzert hat Ihnen am besten gefallen?
Schwerdtfeger: Das Triokonzert mit Lisa Batiashvili im Museum mobile. Das anschließende Künstlergespräch mit dem Publikum hat gezeigt, dass die musikalische Qualität wirklich alle im Saal emotional auf eine andere Ebene katapultiert hat. 
Braun: Das Repertoire, was Gidon Kremer gespielt hat, war für mich ein Aha-Erlebnis. Aber das Tschaikowsky-Violinkonzert, das Lisa Batiashvili gespielt hat, hat mich zu Tränen gerührt. 

 

ZUR PERSON Ruth Schwerdtfeger lebt in Berlin und arbeitet seit 2016 für Audi. Sie hat Orchestermusik (Horn),  Geschichte und Latein studiert. Ihre Tochter ist ein Jahr alt.
 Sarah Braun  lebt in Luxemburg und arbeitet seit 2012  bei Audi. Sie  hat Musikwissenschaft, Romanistik und Anglistik studiert. Ihre beiden Töchter sind vier  und ein Jahr alt.

 

NUSSECKEN AUF REISEN

So reibungslos und gefeiert die Audi-Sommerkonzerte auch verliefen: Kleinere Probleme hinter den Kulissen machten den Künstlern doch gelegentlich das Leben schwer. So mussten die Bläser von Les Vents Francais etwas unfreiwillig den Umsatz des Ingolstädter Einzelhandels ankurbeln. Kurz vor Ankunft der Musiker erhielt die Festspielleitung die Mitteilung, dass vier der fünf Solisten ohne Koffer kommen würden.  Sie waren auf der vorherigen Tournee verloren gegangen – schon einige Tage zuvor! Also stand eine Shopping-Tour in Ingolstadt an, neue Anzüge mussten her. Denn da bei dem Konzert im Ingolstädter Festsaal am 4. Juli tatsächlich alle fünf Herren zugleich auf der Bühne standen, war auch an das blitzschnelle Weitergeben des  Konzert-Outfits hinter der Bühne nicht zu denken. 
Glück im Unglück hatte auch die  Moderatorin Antonia Goldhammer von BR-Klassik. Mit der Audi-Bläserphilharmonie verbindet sie seit einigen Jahren etwas ganz Besonderes. Alljährlich bringt Antonia dem Ensemble für den Auftritt beim Klassik-Open-Air selbst gebackene Nussecken mit. Dieses Jahr allerdings hätte die Audi-Bläserphilharmonie beinahe „ungestärkt“ spielen müssen. Denn auf dem Weg von München vergaß Antonia die Nussecken im Zug. Ganz allein reisten sie weiter gen Würzburg. Die Rettung: Ein Würzburger Freund fuhr zum Bahnhof, durchsuchte den Zug und brachte das Gebäck schließlich an seinen Bestimmungsort in den Klenzepark.