Thalmässing
"Ihr braucht euch nicht kleinzumachen"

Dekanatsfrauenbeauftragte Reinard setzt sich für Gleichberechtigung ein

07.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:43 Uhr
Für Frieden, Gerechtigkeit und Würde: In die Organisation des Weltgebetstags für Frauen, der am vergangenen Freitag stattfand, ist Brigitte Reinard maßgeblich eingebunden. −Foto: Steimle

Thalmässing (HK) Die Hände in den Schoß legen, ist ihre Sache nicht: Brigitte Reinard wollte die Elternzeit sinnvoll nutzen und begann, sich in der evangelischen Kirche in Thalmässing zu engagieren.

Das war auch ein beruflicher Neuanfang: Die gelernte Industriekauffrau ist Seniorenbeauftragte der Stadt Roth und Gemeindereferentin in Thalmässing. Ehrenamtlich ist sie zudem als Dekanatsfrauenbeauftragte tätig - den heutigen Weltfrauentag sieht sie als Symbol für ihr großes Anliegen: Die Gleichberechtigung.


 

"Probleme sehe ich aber bei Alleinerziehenden und nach Scheidungen. Manche Frauen ziehen sich zurück und verfallen in ein altes Rollenbild."

Brigitte Reinard

 

15 Jahre für die Familie da sein, "das war eine wertvolle Zeit", sagt Reinard, aber: "Ich habe immer geschaut, dass ich am Ball bleibe und mich weiterbilde." Damit legte sie die Grundlagen für eine neue berufliche Tätigkeit in der evangelischen Kirche. Denn für diese war sie, seit sie 1993 mit ihrer Familie von Frankfurt nach Eysölden zog, immer ehrenamtlich engagiert. Kirchenchor, Krabbelgruppe, das Amt als Lektorin und später Prädikantin, die Predigten selbst halten und Gottesdienste gestalten darf - Letzteres ist immer noch "ganz wichtiger Teil der Arbeit". Mittlerweile wohnt die 59-Jährige in Roth, da sie für die Stadt als Seniorenbeauftragte arbeitet, dem Dekanat Weißenburg, zu dem die beiden Thalmässinger Kirchengemeinden gehören, ist sie aber treu geblieben. "Ich habe mich umpfarren lassen", erklärt Reinard, schließlich arbeitet sie hier neun Stunden in der Woche als Gemeindereferentin und organisiert den Konfirmandenunterricht mit.

Doch auch die Themen rund um die Frau interessierten die Wahl-Mittelfränkin von Beginn an. Reinard, die im Dreiländereck am Rhein geboren wurde, begann, sich für das Frauenwerk Stein zu engagieren, ein Verein, der die Frauenarbeit in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche bündelt. Erst saß sie in der Mitgliederversammlung, heute gehört sie dem Kuratorium an. Zudem ist Reinard Vorsitzende der Mutter-Kind-Klinik in Aschau, bei der das Frauenwerk Gesellschafter ist. "Dort sehe ich, wie ausgebrannt manche Frauen sind, weil die Gleichstellung in manchen Familien doch nicht so gut funktioniert", erklärt Reinard.

Kein Wunder, dass es ihr seit elf Jahren in ihrem Ehrenamt als Dekanatsfrauenbeauftragte vor allem darum geht, "Frauen zu stärken, das ist mir wichtig." Sie mache das auch im Konfirmandenunterricht, wenn sich eines der Mädchen sich sehr verstecke. "Ihr braucht euch nicht kleinzumachen", betont Reinard, "denn Frauen und Männer sind für mich gleichgestellt, egal, ob in der Bezahlung, der Ausübung ihrer Berufe oder im Ehrenamt". Vor allem bei Ersterem hapert es noch, was der Equal Pay Day (Aktionstag für Entgeltgleichheit) in Erinnerung rufen soll. "Da merken die Frauen, sie haben ein Forum." Denn oft sei es so, dass Reinard nur versteckt darauf hingewiesen wird. "Viele Frauen trauen sich auch mir gegenüber nicht, obwohl sie mich gut kennen und ich ein Vertrauensverhältnis im Dekanat zu ihnen habe, in aller Offenheit zu mir zu kommen." Anders an diesem Tag, wenn die Frauenbeauftragte auf Märkten und Veranstaltungen unterwegs ist: "Da kommen die Frauen dann plötzlich und erzählen davon. Wir versuchen dann, sie zu stärken und ihnen ihre Rechte darzulegen."

Das Engagement für ihre Geschlechtsgenossinnen reicht dabei weit über das Dekanat Weißenburg hinaus. Ab Juli wird Reinard die Präsidentin vom Zonta Club Fränkisches Seenland sein. "Das ist ein internationaler Service Club, ähnlich den Rotariern", erklärt die Frauenbeauftragte. Man wolle die Lebenssituation von Frauen in rechtlicher, politischer, wirtschaftlicher, beruflicher und gesundheitlicher Hinsicht verbessern. Weltweit setzen sich die Frauen etwa gegen Genitalverstümmlung und für bessere Bildung ein, bei den Vereinten Nationen besitzen sie Rederecht. "Für mich ist das eine Herzensaufgabe, auch hier in unserer Region." Unterstützt wird etwa die Beratungsstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt des Diakonischen Werkes Weißenburg-Gunzenhausen (ALMA). Reinard kann sich besonders gut an eine Veranstaltung vor vier Jahren erinnern, als man versuchte, Alma bekannter zu machen. "Wir hatten noch nicht mal angefangen, da kamen schon Männer und Frauen und sprachen mit der Polizei, um auf sexuelle Gewalt in Ehe und Beziehungen hinzuweisen."

Frauen seien heute selbstbewusster, seien besser ausgebildet als früher und gingen mit Weiterbildungen ihren eigenen Weg. "Probleme sehe ich aber bei Alleinerziehenden und nach Scheidungen. Manche Frauen ziehen sich zurück und verfallen in ein altes Rollenbild." Großes Thema ist dabei, wie in ihrer Arbeit für die Stadt Roth als Seniorenbeauftragte, die Rente. "Das wird uns überrollen, viele Frauen können sich mit ihrer mageren Rente ihre Wohnung im Alter nicht mehr leisten", seien auf Grundsicherung angewiesen. "Gift" seien dabei in erster Linie die Minijobs, durch die Frauen zwar Geld verdienen, aber nicht in die Rentenkasse einzahlen. In ihrer Funktion als Seniorenbeauftragte, betont Reinard, sei sie natürlich auch für die Männer da, "von denen viele ebenfalls unter der Armutsgrenze leben".

Für diese Bürger hat Reinard mit anderen im vergangenen November "Kultur für alle" ins Leben gerufen. "Wir wollen versuchen, Menschen die wenig Geld haben, Bildung und den Besuch von Veranstaltungen ermöglichen." Kostenlos einen Film anschauen oder in die Kulturfabrik gehen - für viele sei das unerschwinglich.

Auch ihren Job in der Seniorenarbeit hat Reinard gewissermaßen in der Elternzeit vorbereitet. Sie engagierte sich ehrenamtlich für ein Projekt, knüpfte Netzwerke, die ihr später halfen. Gleichzeitig bildete sie sich weiter: "Ich habe ein Fernstudium in feministischer Theologie absolviert, habe mich im Bereich Erwachsenenbildnerin und Freiwilligenkoordinatorin fortgebildet und ein weiteres Fernstudium als Coach und Mentorin abgelegt."

Neben dem Predigtdienst ist die Vortragsarbeit etwas, was Reinard liegt. "Ich bereite gerne Themen für Frauenkreise vor, lese mich ein, schaue mir Videos auf Youtube an. Richtig eingebunden ist sie auch in den Weltgebetstag der Frauen, der am vergangenen Freitag stattgefunden hat. "Etwa Mitte Januar muss ich mir Gedanken machen, lese mich zum betreffenden Land ein und schaue, was die Gottesdienstordnung mit sich bringt." Das Team trifft sich, spricht über den Aufbau und die Dekoration. "Surinam dieses Jahr war toll, mit klaren Texten, in denen sich die Frauen wiedergefunden haben", erinnert sich Reinard. Der Tag zeige, wie sehr sich die Probleme weltweit ähneln, "da ist es wichtig, dass man immer wieder den Daumen in die Wunde legt."

Eine Überzeugung, die sie auch aus ihrem Glauben ableitet. "Jeder Einzelne, Frau oder Mann, ist nach Gottes Ebenbild geschaffen." Ein Rollstuhlfahrer habe sie in einem Gottesdienst einmal sehr beeindruckt. "Er sagte, Gott sitzt auch im Rollstuhl, ich bin ja sein Ebenbild. Er ist im Leiden und in der Freude mit dabei."