"Ich wollte schon als junger Bursch Rennfahrer werden"

Gerhard Berger im 'Interview des Monats'

16.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:13 Uhr
  −Foto: Herbert Neubauer

Er galt als Lausbub der Formel 1 und war mit großem Talent gesegnet. Für einen Weltmeistertitel reichte es dennoch nicht. Trotzdem zählt der Österreicher Gerhard Berger zu den bekanntesten Rennfahrern der Geschichte – denn er fuhr in der spektakulärsten Zeit der Königsklasse des Motorsports.

Herr Berger, wie oft sprechen Sie ein Dankesgebet, dass Sie noch am Leben sind?
Gerhard Berger: Dass ich noch am Leben bin, eigentlich nicht so oft. Aber dass ich das erleben durfte, sehr oft. Ich durfte durch meine sportliche Karriere und alles, was danach passiert ist, ein Traumleben führen, wie man es sich als Kind wünscht. Und da denke ich öfter beim Schlafengehen dran, als man vielleicht glaubt.

Sie fuhren in einer Zeit in der Formel 1, von der Motorsportfans noch heute schwärmen.
Berger: Wir hatten eine sehr aufregende Zeit. Wahrscheinlich haben wir sie mitunter lustig gestaltet, weil wir zu der Zeit auch der Gefahr ins Auge schauen mussten. Wenn wir wieder ein Rennen überlebt oder ohne Verletzungen überstanden hatten, haben wir versucht, das mit Spaß und Freude zu kompensieren. Zugleich haben wir aber die Sache ernst genommen, es war ein extrem harter Kampf.

Was überwiegt - die Freude über die Zeit oder der Ärger, dass es nicht für einen WM-Titel gereicht hat?
Berger: Das ist ein schwieriges Thema für mich. Wenn ich mit der Erfahrung und dem Wissen, das ich heute habe, zurückblicke, frage ich mich schon, warum ich mich nicht intensiver mit meinem Sport auseinandergesetzt habe. Man kann Sachen erarbeiten, man kann Sachen lernen, man kann sich bemühen. Was man mitbekommt, ist Talent. Wenn man nicht so viel Talent hat, kann man zurückblicken und sagen, mehr wäre nicht gegangen. In meinem Fall - das glaube ich - ist das Talent wirklich nicht zu kurz gekommen. Aber ich hätte mich zu der Zeit mit dem einen oder anderen viel intensiver auseinandersetzen müssen. Das mache ich mir selbst schon manchmal zum Vorwurf.

Was sind das für Dinge?
Berger: Wenn man Spitzensportler wird, muss man bereit sein, sein sonstiges Leben zurückzustellen, es fast aufzugeben. Man kann nicht im sportlichen Wettkampf stehen und nebenbei sagen: "Heut gehen wir mal mit Freunden weg, heut gehen wir mal aus, heut sucht man sich mal eine Freundin." Es geht nur noch darum, sein ganzes Leben, von der Früh bis zum Abend, von der Ernährung bis zur Fitness, um den Sport herumzubauen. Ich habe vielleicht 50 Prozent um meinen Sport gebaut - und die anderen 50 Prozent habe ich dafür aufgewendet, zu machen, was junge Burschen halt so machen. Das ist im Spitzensport leider nicht möglich. Da kann man noch so viel Talent haben - wenn man um Weltmeisterschaften fährt, trifft man auf die Sennas, Schumachers, Häkkinens, wie sie alle heißen, und die haben beides in der Tasche: Talent und diese extreme Hingabe.

Sie haben ja die besten Vergleichsmöglichkeiten, denn Sie fuhren mit Legenden wie Senna, Prost und Schumacher. Wer von ihnen war der Allerbeste?
Berger: Ganz klar Senna. Wobei man auch Prost nicht aus den Augen verlieren darf. Er wurde viermal Weltmeister und einige Male Vizeweltmeister und war sicherlich nie so stark im Team verankert wie Senna. Senna hatte sich schon seit seiner Jugend den Ruf erarbeitet, dass ihm jeder zu Füßen lag. Er bekam immer die besten Voraussetzungen. Aber unterm Strich war er auch der Beste.

Was hat ihn ausgezeichnet?
Berger: Erstens war er extrem talentiert. Das waren auf der Ebene aber mehrere. Er war darüber hinaus unglaublich ehrgeizig und fleißig, er konnte sich besser konzentrieren als wir alle. Er brachte wahnsinnige Erfahrung mit, weil er das Glück hatte, dass ihn seine Eltern schon mit drei oder vier Jahren in den professionellen Kartsport gebracht hatten. Er hatte aber auch einen unglaublichen Charme - er bekam bis hin zu den Staatspräsidenten überall den roten Teppich ausgerollt.

Sie waren nicht nur sein Teamkollege, sondern galten auch als sein engster Freund im Fahrerzirkus.
Berger: Die Freundschaft war wirklich tief. Die Chemie zwischen uns hat einfach gestimmt: Wir waren gleich alt, hatten ähnliche Interessen. Wir waren gemeinsam im Urlaub, haben gemeinsam Blödsinn gemacht, sind gemeinsam Rennen gefahren. Nur wenn es um Rundenzeiten, Qualifying oder Platzierungen im Rennen ging, haben wir nicht mehr gemeinsam gearbeitet. Da haben wir uns harte Kämpfe geliefert.

Sie haben zehn Siege in der Formel 1 gefeiert. Welcher war der Bedeutendste?
Berger: Ehrlich gesagt, alle. Mein letzter Sieg in Hockenheim passierte unter besonderen Umständen. Aber auch der erste Sieg in Mexiko war sehr besonders, und auch der erste Sieg mit Ferrari war wahnsinnig wichtig und gut. Ich liebe sie alle zehn. Ich hätte gerne 30 (lacht).

Kurz vor Ihrem letzten Sieg 1997 in Hockenheim starb Ihr Vater bei einem Flugzeugabsturz.
Berger: Das war eine besondere Kraft, die sich da in mir entwickelte. Wir hatten nicht unbedingt das schnellste Auto, und trotzdem hatte ich die Pole-Position, die schnellste Runde und den Sieg. Das war schon ein besonderer Erfolg.

Ihr Vater war Speditionsunternehmer. War er der Grundstein, weshalb Sie Rennfahrer geworden sind?
Berger: Nein, im Gegenteil. Mein Vater wollte, dass ich zuerst in die Schule gehe, ein Studium mache und mich dann im Unternehmen ausbreite. Das hat mich aber wenig interessiert. Für mich war als junger Bursch klar: Ich möchte Rennfahrer werden.

Wie kam das zustande?
Berger: Indem ich heimlich bei einem Bekannten ein Auto gemietet habe und ein Rennen fuhr, in geheimer Mission. Ich habe das Rennen dann aber leider gewonnen und stand in der Zeitung - somit ist das alles aufgeflogen. Dann musste ich zuerst zu Hause ein Jahr lang Hürden überwinden, damit ich meine Karriere fortsetzen konnte. Das habe ich aber geschafft, und so nahm alles seinen Lauf.

Die Karriere wäre allerdings beinahe schnell wieder zu Ende gewesen, als Sie kurz nach Ihrem Einstieg in die Formel 1 schwer verunglückten.
Berger: Ich hatte auf der Straße einen schweren Verkehrsunfall. Ein alkoholisierter Fahrer bog mit seinem Fahrzeug aus einer Tankstelle heraus und hat mich von der Straße geschubst. Ich stürzte über ein Brückengeländer in einen Bach. Ich war leider nicht angeschnallt, das war zu der Zeit noch nicht Pflicht, flog durch die Scheibe und habe mich schwer verletzt, mit Wirbelsäulenbrüchen und Kopfverletzungen. Ich hatte ein paar schwere Operationen, aber sobald ich zusammengeschraubt und das Ganze stabilisiert war, war mein erster Weg nach England. Ich wusste, wenn ich weiter Formel 1 fahren will, musste ich zu Vertragsgesprächen. Das war ein bisschen der Schlüsselmoment, in der Formel 1 zu bleiben oder wieder rauszufallen. Den Medien nach war ich nicht mehr in der Lage, weiter Rennen zu fahren. Ich wusste aber, ich kann weiterfahren. Aber dazu musste ich schon persönlich in England antreten, damit man mir das geglaubt hat.

Den heftigsten Crash in der Formel 1 überlebten Sie 1989 in Imola, als Ihr Ferrari in Flammen aufging.
Berger: Das war vielleicht noch knapper, allerdings waren die Verletzungen nicht so schwer wie bei dem Verkehrsunfall auf der Straße. Aber meine Rettungsengel, die Streckenposten, hätten sich nicht mehr Zeit lassen dürfen zum Löschen. Sie brauchten acht Sekunden, bis sie bereit zum Löschen waren. Zehn Sekunden mehr, und es wäre schon eng geworden. Der Grund war, dass in der Tamburello-Kurve der Frontflügel brach. Das Auto war nicht mehr lenkbar, und ich bin mit sehr hoher Geschwindigkeit, in einem schlechten Winkel und mit 200 Kilo Sprit an Bord in eine Betonmauer.

Fünf Jahre später kam an dieser Stelle Senna zu Tode.
Berger: Im Nachhinein betrachtet ist das ein trauriges Beispiel, dass Erfahrung wahnsinnig wichtig ist und konsequent genutzt werden muss. Auch Nelson Piquet hatte zuvor schon einen sehr schweren Unfall an der Stelle, und spätestens nach meinem Unfall hätten wir - und das hatten Senna und ich auch vor - diese Mauer verändern müssen. Wir haben es zwar angedacht und haben sogar gemeinsam meine Unfallstelle inspiziert, aber wir haben es nicht konsequent weiterverfolgt. Und leider ist er genau an dieser Stelle gestorben.

Als Sie 1996 zu Benetton wechselten, übernahmen Sie das Auto Michael Schumachers, mit dem er die beiden Jahren zuvor Weltmeister geworden war. Sie sollen das Fahrzeug als "unfahrbar" bezeichnet haben. War es das tatsächlich?
Berger: Ich habe nicht gesagt, das Auto ist unfahrbar. Aber das Auto hatte im Grenzbereich über Bodenwellen einen Abriss der Aerodynamik. Man musste eine ganz eigene Sensorik in seinem Körper aufbauen, um das zu beherrschen. Und das hat Schumacher sehr gut beherrscht. Er ist mit dem Auto gewachsen und konnte das Problem auch immer wieder sehr gut überfahren, wie man in der Rennfahrersprache sagt. Wir hatten damit schon unsere Probleme. Schumacher brachte einen besonderen Ehrgeiz und deutsche Gründlichkeit mit - in Verbindung mit seinem großen Talent.

Wer ist aktuell der herausragende Fahrer der Formel 1?
Berger: Für mich ist inzwischen Lewis Hamilton ein herausragender Rennfahrer, ich würde ihn langsam auf die Senna-Stufe stellen. Die Perfektion, der Grundspeed, die Erfolge, die wenigen Fehler, die er macht. Auch Sebastian Vettel gehört zu dieser Generation. Sebastian ist viermal Weltmeister. Einmal Weltmeister kann man schon mal werden. Aber viermal Weltmeister kann man nur werden, wenn man außerordentlich gut ist.

Vettel scheiterte in dieser Saison auch wegen Fehler im Ferrari-Team an der WM. Auch Sie sind bei Ferrari gefahren, als es nicht rund lief. Wie schwierig ist es, den Rennstall zum Siegerteam zu formen?
Berger: Ich kam zu Ferrari zu einer Zeit, in der das Team lange Zeit sieglos war. Es war ein Teil meiner Aufgabe, Ferrari wieder dorthin zu entwickeln, dass sie Rennen gewinnen konnten. Das habe ich auch gemacht. Weiter bin ich aber nicht gekommen, weil es als Fahrer sehr schwierig war, die italienische Kultur, die Politik und so weiter voranzutreiben. Sebastian hat es sehr weit gebracht, das Team war in diesem Jahr das eine oder andere Mal schon außerordentlich gut unterwegs. Nur für die Weltmeisterschaft hat es immer noch nicht gereicht. Das ist einfach schwierig, wenn man als Fahrer nicht nur Fahrer sein soll, sondern auch noch ein Team weiterentwickeln soll. Michael Schumacher war darin außerordentlich gut. Er hatte aber mit Jean Todt und Ross Brawn auch außerordentlich gute Leute an seiner Seite. Solche Leute fehlen Sebastian momentan.

Sie sind der letzte Fahrer, der von Enzo Ferrari persönlich unter Vertrag genommen wurde. Was war er für ein Mensch?
Berger: Er war eine besondere Persönlichkeit, ich bin ihm mit sehr viel Respekt begegnet. Für einen Jungsporn war das eine besondere Begegnung. Wobei sich das Verhältnis dann relativ schnell lockerte, er ist mit mir sehr gut zurechtgekommen. Ich habe dann des Öfteren mit ihm Mittag gegessen, wenn wir beim Testen in Fiorano waren.

Sie waren Rennfahrer, BMW-Motor-Sportchef, Formel-1-Teambesitzer und sind heute Unternehmer und DTM-Chef. Gibt es irgendetwas, das Sie bereuen?
Berger: Ich bereue gar nix. Die schönste Zeit aber war, aktiv Autorennen zu fahren, aktiv so eine Maschine am Limit zu bewegen.

Das Interview führte Julia Pickl.
 
Zur PersonName
Gerhard Berger

Geburtstag
27. August 1959 in Wörgl (Tirol)

Beruf
Rennfahrer, Motorsportdirektor, Unternehmer, DTM-Chef

Größter Erfolg
10 Siege in der Formel 1

Gut zu wissen
In Australien präparierte Berger einst Ayrton Sennas Hotelbett mit zehn Riesenkröten. Als der aufgebrachte Senna Berger zur Rede stellte, fragte der nur: „Hast Du die Schlange auch gesehen?“

Was er sagt
„In meiner Zeit war statt der Telemetrie das Boxenluder da.“

Was man so hört
„Gerhard ist der gefährlichste Mann in der Formel 1. Nicht auf der Piste, sondern im Privatleben. Du bist keine Sekunde vor ihm sicher.“ (Senna)