Neuburg
"Ich bin derzeit der Sündenbock"

Die dezentrale Unterbringung von Asylbewerbern ist für Landrat Weigert und sein Team eine große Herausforderung

06.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:43 Uhr

Eines der privaten Objekte, das in einen Mietvertrag gemündet ist. Vieles, was dem Landkreis angeboten wird, ist Schrott, mit exorbitanten Preisvorstellungen verbunden oder aus brandschutztechnischen Gründen, an die der Landkreis gebunden ist, nicht geeignet. Arch - foto: Schanz

Neuburg (DK) Mit den Gebäuden IV und V der ehemaligen Lassigny-Kaserne hat der Landkreis eine Notaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. Dort sollen sie zeitlich befristet, etwa sechs Wochen, untergebracht werden. Eine ganz andere Sache ist die dezentrale Unterbringung in Wohnungen und Häusern. 30 Asylbewerber pro Woche werden dem Landkreis für diese Art der Unterbringung zugewiesen, aber die Beschaffung von Wohnraum ist ein hartes Brot. Nicht jedes Angebot ist seriös, andere werden wieder zurückgezogen, die Nächsten muss der Landkreis ablehnen.

Franz-Josef Simon, früher Leiter der Landkreisbetriebe, ist von Landrat Roland Weigert aus dem Ruhestand geholt worden. Simon ließ sich nicht lange bitten und reist nun durch den Landkreis auf der Suche nach geeignetem Wohnraum. Und da bekommt er einiges zu sehen. Von sofort vermietbarem Wohnraum zu ortsüblichen Preisen über generalsanierungsbedürftige Gebäude, die seit vielen Jahren leer stehen, bis hin zu Objekten, bei denen die Preisvorstellung der Vermieter bei 15 Euro und mehr für den Quadratmeter liegt. „So etwas wird abgelehnt“, sagt Simon. „Ich sehe mich als Sachwalter der Menschen, die da reinkommen, aber auch als Sachwalter des Freistaates, der mit dem öffentlichen Geld verantwortungsbewusst umgehen muss“, sagt Simon. Dann gibt es Vermieter, die würden gerne sogenannte Kopfpauschalen kassieren. Auch diese Angebote weist der Landkreis zurück. Es werden Schrottimmobilien angeboten, andere wiederum „nutzen die Notsituation aus, ohne zu überlegen, was sie damit auslösen“, schildert Simon. Das schlechteste Angebot, an das er sich erinnern kann, war ein Haus, „heruntergekommen ist gar kein Ausdruck“, das Innere von Ungeziefer befallen, für das der Eigentümer sieben Euro pro Quadratmeter haben wollte. Das Geschäft kam nicht zustande.

Herrscht bei manchen Immobilienbesitzern Goldgräberstimmung, wird der Mann vom Amt von anderen mit religiösen Kriterien konfrontiert. Vermieten ja, aber nur an Christen. Auch das hat Simon schon erlebt. Während er quasi im Häuserkampf aktiv ist, steuert Matthias Hentschel die Suche von innen. Zu seinem Arbeitsgebiet gehören unter anderem Mietverträge, die ausgearbeitet und dann zur Regierung von Oberbayern geschickt werden müssen. Dort werden sie – von jemandem der die vier Wände nie gesehen hat – abgesegnet.

Es gibt Vermieter, die würden ihr Haus, ihre Wohnungen sogar vorher sanieren. „Dann steigt aber der Mietpreis exorbitant und wir dürfen nur sechs Jahre lang mieten“, erklärt Simon. Also wird das auch nichts. Ein abgewirtschaftetes Gebäude wieder richtig bewohnbar machen darf der Landkreis selbst aber nicht. Er darf auch keine Vorverträge abschließen, die dem Eigentümer garantieren, dass sein Haus nach der Sanierung vom Kreis angemietet wird. Wie läuft’s also? Der Landkreisbetriebechef im Ruhestand nimmt das Angebot unter die Lupe, stellt die Quadratmeter Wohnfläche fest, schaut ob Fenster dicht, die Räume trocken und beheizbar sind, verhandelt wegen der Miete. Gibt die Regierung dann grünes Licht, tritt die Gruppe um Matthias Hentschel in Aktion und stattet das Gebäude mit Betten, Herd, Spüle und anderen Notwendigkeiten aus – Luxus gibt es dabei nicht.

233 Objekte wurden dem Landratsamt bislang angeboten. 42 davon wurden aus baurechtlichen Gründen abgelehnt, fünf Offerten kamen von Gemeinden, bei 55 ruderte der Vermieter zurück – mutmaßlich auf sanften Druck der Nachbarschaft, sechs wurden als Option an das Jugendamt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge weitergeleitet, 31 hat das Amt zurückgestellt, da ein Vertragsabschluss nicht absehbar oder unwahrscheinlich ist, 82 Angebote sind noch offen und müssen geprüft werden, zwölf Mietverträge stehen kurz vor dem Abschluss oder sind bereits abgeschlossen.

Die Akquise soll durch zwei weitere Kräfte verstärkt werden, eine davon kommt gegen Bezahlung von der Stadt Neuburg. Aber auch dann wird die Suche ein bürokratischer Kraftakt bleiben. „Wir haben im Asylbereich gesetzliche Regelungen für den Normalfall, die auch in Ausnahmesituationen angewendet werden. Das funktioniert aber nicht“, klagt Landrat Roland Weigert über den Mangel an Gestaltungsmöglichkeiten. Er ist in Personalunion kommunaler Wahlbeamter und Staatsbeamter. Als letzterer ist er der verlängerte Arm der Regierung, der notfalls auch Turnhallen und Vereinsheime beschlagnahmen muss, was er nicht will. „Ich bin derzeit der Sündenbock draußen für die Bundes- und Landespolitik“, sagt Weigert. Und etwas pathetisch fügt er an. „Wenn wir nur etwas Unterstützung von oben bekommen würden, wir würden das wie Tauperlen aufsaugen.“