Ingolstadt
"Hier ist der böse Mann aus dem Rathaus"

Erneut beschäftigen das Landgericht die Telefonate des Geiselnehmers – aber auch sein Rauswurf aus dem Obdachlosenheim

02.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:10 Uhr

Als Motiv für die Geiselnahme nannte der Angeklagte (hier mit Verteidiger Jörg Gragert und zwei Polizisten) ein Entschuldigungsschreiben, das er von der Stadt für seinen Rauswurf aus der Obdachlosenunterkunft und ein Hausverbot in allen Rathäusern wollte. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt - Foto: Rehberger

Ingolstadt (DK) Warum hatte der spätere Geiselnehmer ein Hausverbot in allen Rathäusern erhalten und war kurz vor der Tat aus der städtischen Obdachlosenunterkunft geflogen? Diese Fragen stellte das Landgericht am fünften Verhandlungstag. Zudem gab es auch wieder erhellende Tonmitschnitte zu hören.

Die Zusammenfassung von Tag fünf im Geiselnehmerprozess ließe sich locker mit der detaillierten Beschreibung der Telefonanrufe des Angeklagten füllen, die gestern im Sitzungssaal des Landgerichts vorgespielt worden sind. Dreimal hatte der Geiselnehmer am Morgen des 19. August 2013 den Notruf der Polizei angewählt und sich dabei unter anderem mit „Hier ist der böse Mann aus dem Rathaus“ vorgestellt. Ähnlich schräg formuliert klang sein erstes Anliegen: „Ich bräuchte ein paar Polizisten hier am Rathaus.“ Als Erklärung bot er „vier Geiseln in meiner Gewalt“, aber auch die Warnung: „Wenn ein Polizist das Gebäude betritt, werde ich alle Geiseln erschießen“. So weit kam es bekanntlich nicht.

Die Frage nach weiteren Forderungen wollte der 25-Jährige am Notruf damals aber doch nicht beantworten. Genauso wurde lange über sein Motiv für die Geiselnahme gerätselt. Im Lauf des Tages, als sich die Verhandlungsexperten der Polizei mit dem 25-Jährigen in Verbindung setzten, hatte sich dann herauskristallisiert, dass es ihm „nur“ um ein Entschuldigungsschreiben von der Stadt ging. So seltsam dieser Wunsch angesichts der Dimension des Delikts auch klingen mag.

Der Geiselnehmer schweigt im Prozess aber bekanntlich zu den Details. Bei der Ingolstädter Kriminalpolizei hat er in einer Vernehmung einige Wochen, nachdem er von Spezialeinsatzkräften der Polizei im Rathaus überwältigt worden war, aber doch geredet und das gegen ihn verhängte Hausverbot in den Rathäusern als Hauptmotivation genannt. Der Sachbearbeiter des Geiselnahmefalls bei der Kripo bestätigte diese Version gestern vor Gericht. Es sei dem Angeklagten, laut dessen Aussage, dabei nicht um die Vorzimmerdame von Bürgermeister Sepp Mißlbeck gegangen, die er (mit dem Beschwerdemanager der Stadt) bis zuletzt festgehalten hatte. Und die er im Jahr 2012 über Monate gestalkt hatte, was auch zu seiner Verurteilung am Landgericht zu einer 20-monatigen Bewährungsstrafe im Juli 2013 geführt hatte.

Damit kam er damals aber nach einer vorläufigen Unterbringung in der Psychiatrie in München-Haar wieder auf freien Fuß. Er schlug in Ingolstadt in der städtischen Obdachlosenunterkunft am Franziskanerwasser auf – aber nur kurz. Wie erwähnt, warf ihn die Stadtverwaltung dort nach einigen Tagen knapp zwei Wochen vor der Geiselnahme raus. Sie erneuerte ebenso ein Hausverbot in allen Rathäusern, das sie bereits 2012 nach den Stalkingvorwürfen und SMS-Drohungen des 25-Jährigen – unter anderem hatte er es „im Rathaus richtig krachen lassen“ wollen – für ein Jahr verhängt hatte.

Aus der Unterkunft am Franziskanerwasser flog er, weil er eine Mitarbeiterin des Sozialamtes dort mit eindeutigen sexuellen Angeboten beleidigt hatte. Das beschrieb die Sozialpädagogin gestern dem Gericht mit klaren Worten. Sie zeigte den 25-Jährigen damals auch an. Hausverbote der Stadt folgten.

Ein erfahrener Kollege der Sozialpädagogin überreichte sie dem jungen Mann damals angeblich mit den Worten „Game over“ und einem „Ich hatte Sie für klüger gehalten“. Das bestätigte der Zeuge gestern sogar. Der spätere Geiselnehmer soll den Rauswurf gelassen aufgenommen haben, berichtete der städtische Mitarbeiter ebenfalls. Und der 25-Jährige reagierte fast besonnen, indem er einen auf Verwaltungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt auf die Sache ansetzte, der ihm aber kaum Hoffnung auf Erfolg machte, wie der Jurist gestern selbst sagte.

Nach dem Anwaltsbesuch verliert sich für ein paar Tage die Spur des jungen Mannes, ehe er am 19. September ins Rathaus einfiel. Knapp eine Woche zuvor hatte er sich in einem Laden an der Friedrichshofener Straße die (Spielzeug)-Waffe besorgt. Dafür liegt ein Beleg vor. Und am Vortag der Geiselnahme lief er Bruder Martin Berni im Luitpoldpark in die Arme. In dessen Straßenambulanz zählte er bereits 2009 mehrere Monate lang zu den Gästen. Auch dort bekam er letztlich Hausverbot. „Er hat die Leute mit seiner aufgedrehten Art genervt. Das ging nicht mehr weiter“, erklärte Martin Berni dem Gericht. Allerdings sei der 25-Jährige ansonsten nie negativ aufgefallen.