Obermässing
"Heute wird ein Russe erschossen"

In Obermässing wurde kurz vor Kriegsende ein junger russischer Zwangsarbeiter zu Unrecht hingerichtet

24.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:29 Uhr
"Hier ruht ein russischer Soldat", ist auf dem Grabstein im Wald bei Obermässing schlicht zu lesen. Ohne Beweise war der Zwangsarbeiter wegen eines vermeintlichen Diebstahls kurz vor Kriegsende zum Tod durch Erschießen verurteilt worden. −Foto: Schreiber

Obermässing - Dass es im Krieg zu vielen Gewalttaten gekommen ist, liegt fast in der Natur der Sache, könnte man sagen.

In Obermässing hat sich eine Tat ins Gedächtnis der Älteren eingebrannt: Lediglich zehn Tage, bevor die US-amerikanischen Truppen im April 1945 Obermässing erreichten, wurde ein junger russischer Zwangsarbeiter von den Deutschen erschossen. Das ganze Dorf hat dies laut der Zeitzeugin Maria Billner mitbekommen. Der Mann wurde erschossen, weil man ihn verdächtigte, eine Uhr gestohlen zu haben. Zu Unrecht. Sein Grab im Wald am Hofberg ist noch heute erhalten und wird gepflegt.

In Obermässing gab es rund 400 russische Zwangsarbeiter, die im früheren, heute abgerissenen Raiffeisenstadel untergebracht waren. Gegenüber vom Bäcker waren im Krotterstadel 400 Franzosen. Beide Gruppen kamen kurz vor den Amerikanern ins Dorf. Sie wurden von rund 50 Wehrmachtssoldaten bewacht und vor sich her getrieben. Ungefähr zehn Tage bevor die Amerikaner ins Dorf kamen, wurden die Zwangsarbeiter aus den beiden Stadeln und auf den Hofberg getrieben. Da passierte es: "Der hat am Hofberg beim Guglbauern was gestohlen", dieser Satz machte die Runde. Der junge Russe wurde verdächtigt, eine Taschenuhr gestohlen zu haben. Aber er war gar nicht im Haus gewesen, erinnert sich die Zeitzeugin, der Mann hatte Holz gehackt.

Es nützte nichts. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht im Dorf: "Heute wird ein Russe erschossen. " Weil an diesem Tag keine Schule war, schickten sich schon die Kinder an, zum Hofberg zu gehen und zu schauen, was los sei. Auf Schleichwegen, erlaubt war es nicht. Zwei Buben beobachteten, wie zwei Russen ein Grab schaufeln mussten - bewacht von einem Deutschen mit Gewehr im Anschlag. Anschließend gingen die drei Männer wieder herunter. Als sie weg waren, gingen die Kinder zu dem frisch aufgeworfenen Grab und schauten es sich an. Einer der Buben sagte, als er wieder daheim war: "Mutti, wenn die da einen großen Mann hineintun wollen, da können sie fast keine Erde mehr darauf werfen. Das Loch ist nur einen halben Meter tief. "

Als die Exekution anstand, hat laut Maria Billner niemand mehr in Obermässing gearbeitet. Mehr als 30 Leute standen an der Straße im Oberdorf. Zwei deutsche Offiziere gingen voran, sie würdigten die Herumstehenden keines Blickes. Hinter ihnen waren zehn Soldaten mit Gewehren in der Hand, die den Russen eskortierten. Die Menschen zeigten sich entsetzt: "Mein Gott, jetzt bringen's den Buam da nauf und erschießen ihn. "

Kinder liefen wieder hinauf durch den Wald zum heimlichen Spitzeln. Sie blieben wiederum unbemerkt, wurden Zeugen der Tat. Der gefesselte Russe betete noch und bekreuzigte sich, dann wurden seine Augen verbunden. Sogleich legten alle zehn Wehrmachtssoldaten an und schossen. Der Widerhall im Wald war so stark, dass man die Schüsse im ganzen Ort hörte. Der Leichnam fiel nicht in die aufgeworfene Grube, sondern vornüber aufs Gesicht neben das Loch. Die Kinder erzählten ihre Beobachtung später. Die Soldaten packten den Russen an den Füßen und schleiften ihn in das Loch hinein.

Ein paar Tage nach der Hinrichtung hat sich die gestohlen geglaubte Uhr wieder eingefunden, sie war nur verlegt worden. Der angeblich bestohlene Mann und Denunziant war "ein alter Lump", wie die Zeitzeugin Maria Billner ihn bezeichnete. Er hatte in Viehhausen einen großen Bauernhof. Später verarmte der Mann, wohnte in einem Häuschen - das nicht mehr existiert.

ub