Herbe Kantilenen

15.05.2009 | Stand 03.12.2020, 4:57 Uhr

Nach außen gekehrte Innerlichkeit: Benjamin Schmid und das Georgische Kammerorchester spielen Mendelssohn. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Mendelssohn nannte sie "Symphonie zur Feier der Kirchen-Revolution" und krönte sie mit einem Kirchenlied. Aber im Festsaal kommt erst Feierstimmung auf, als zwei Geburtstagssträuße überreicht werden. Auf die blechgepanzerten Töne von Luthers "Fester Burg", die das insgesamt sehr gelungene Konzert des Georgischen Kammerorchesters beenden, folgt zunächst einmal höflicher Applaus.

Vielleicht hatte Mendelssohn doch nicht so unrecht, wenn er die sogenannte "Reformationssymphonie" unveröffentlicht ließ, weil er mit dem Finale unzufrieden war. Die eigentümliche Mischung aus historisierender Choralbearbeitung und Sonatensatz wirkt gewollt und aufgesetzt, auch wenn Ariel Zuckermann versucht, den Satz mit Drive und Spannung anzuheizen. Dennoch hat dieses Werk eindrucksvolle Momente zu bieten: Die Vorahnung des Grals-Motivs aus dem "Parsifal", von den Streichern in weihevollen Glanz getaucht, den dramatisch aufgewühlten Hauptsatz, die melancholisch singende und rezitierende Einleitung des Finales, die die Violinen fein und beredsam artikulieren.

Der eigentliche Mendelssohn-Höhepunkt war natürlich das e-Moll-Violinkonzert, das mit vollem Recht zu den beliebtesten Werken der Klassik und Romantik gehört. Benjamin Schmid stürzt sich gleich mit voller Expressivität ins Geschehen. Die Melodie des Hauptthemas wirkt wie geladen, treibt den Rest des Satzes zwingend aus sich hervor. Sehr schön intonieren die Bläser den Seitensatz und rollen damit einen samtenen Teppich aus für Schmids ersten großen Auftritt als "romantischer" Virtuose, der sein Publikum mit feinen, bald süßen, bald herben Kantilenen umgarnt. Auch äußerlich entspricht der körperhaft mit der Musik mitgehenden, expressiv grimassierende Solist dem Bild des Virtuosen, aber seine glänzende Technik und sein Aufgehen in der Musik verhindern, dass dies aufgesetzt wirkt. Die innigen Gesänge des zweiten Satzes verströmen wirklich Herzblut, nach außen gekehrte Innerlichkeit. Auch im Finale agiert Schmid als Vollblut-Virtuose, huscht sauber und souverän das übermütige Passagenwerk, das die Themen umrankt. Hier zeigt sich aber auch, dass "Konzert" gemeinsames Musizieren bedeutet: Ständig funkt es zwischen Solist, Dirigent und Orchester, ein mitreißendes Feuerwerk der Spielfreude, das sich in lauten Bravi und ausdauerndem Applaus entlädt.

Als Huldigung an das "Ewig Weibliche" durfte übrigens Mendelssohn Schwester Fanny, die das 19. Jahrhundert in den häuslichen Kreis verbannte, das Konzert eröffnen. Die Georgier legten sich engagiert ins Zeug für ihre Ouvertüre, die dann auch frisch und lebendig über die Bühne ging. Der ideelle Höhepunkt war aber Sofia Gubaidulinas 1971 entstandenen "Concordanza", ein eher stilles, aber ungemein fesselndes Werk der ausgehenden Avantgarde. Auf zehn solistische Spieler schrumpfte das Orchester, die einen äußerst vielfältigen Klangteppich zwischen den Polen Eintracht und Uneinigkeit webten. Als ein Handy losdudelte, passte das erst fast dazu, störte auf die Dauer dann aber doch: Abbruch und da capo. So durfte man den suggestiven Anfang von "Concordanza" noch einmal erleben, ein Werk, das bis hin zu rhythmischem Zischen der Spieler (nur das laute Schneuzen kam aus dem Publikum) alle möglichen Klang- und Strukturverfahren der Moderne fantasievoll anwendet, ja zitiert und schließlich in gewissem Sinn "aufhebt". Zum Glück gibt es noch den Mut, neben dem romantischen Ohrenschmaus auch solche Stücke aufzutischen.