Pfaffenhofen
Herausforderung Erstklässler

Der Pfaffenhofener Schulamtsdirektor Anton Jungwirth zum Unterricht in Corona-Zeiten

14.05.2020 | Stand 02.12.2020, 11:21 Uhr
An der Pfaffenhofener Mittelschule bleiben bei Unterrichtsbeginn die Türen offen, damit die Schüler nicht die Griffe anfassen müssen. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen - Endlich wieder Schule - wenn auch bisher nur für 25 Prozent aller Pfaffenhofener Schüler: Nach den Abschlussklassen dürfen seit Montag auch Viertklässler und Mittelschüler der 8. und 9. Klasse wieder die Schulbank drücken - von einem normalen Unterrichtsbetrieb kann allerdings noch lange nicht die Rede sein.

 

Nie zuvor standen Schulleiter vor einer so großen organisatorischen Herausforderung wie jetzt. Schulamtsdirektor Anton Jungwirth spart nicht mit Lob für die Rektoren, die sich viele Gedanken zu Hygiene-Konzepten gemacht haben. In Rohrbach weisen Schilder vor den Toilettenanlagen darauf hin, wenn besetzt ist, an der Pfaffenhofener Mittelschule stehen frühmorgens die Türen sperrangelweit offen, damit die Schüler die Griffe nicht anfassen müssen. Jungwirth hat sich umgesehen: "Die Disziplin der Schüler ist hervorragend, und die Lehrkräfte gehen mit gutem Beispiel voran." Auf den Gängen zum Beispiel müssen Masken getragen werden. "Das wird noch mal eine Herausforderung", ahnt Jungwirth, "wenn kommenden Montag die Erstklässler wieder zur Schule gehen."

15 Stunden in der Woche werden Schüler jetzt unterrichtet. Wie die aufgeteilt werden, auf drei oder vier Tage, das kann jeder Rektor - in Absprache mit dem Elternbeirat - selbst entscheiden. Berücksichtigt werden muss dabei auch der logistische Aufwand der Schulbusse, denn die Klassenstärke wird reduziert, die Schüler sitzen an Einzeltischen. Abgespeckt ist auch der Lehrplan. "Unterrichtet werden nur die Hauptfächer Deutsch, Mathe, Englisch", sagt Jungwirth, "und in der 4. Klasse der Probeunterricht." Der betrifft Schüler, die den Notenschnitt zum Übertritt aufs Gymnasium oder die Realschule nicht geschafft haben - noch einmal eine große Herausforderung, denn diese Schüler waren jetzt acht Wochen nicht in der Schule, der Lehrstoff ist bei manchen ins vernebelte Unterbewusstsein gerutscht. Kunst, Sport, Reli und praktische Fächer wie Werken werden nicht "oder nur sehr zurückhaltend unterrichtet", sagt Jungwirth. Gruppenarbeit im Fach Technik entfällt, genauso wie Musik, weil nicht gesungen werden darf. Besonders schmerzlich für Grundschüler, für die gemeinsames Singen den Unterricht auflockert.

Bisher haben die Schüler ausschließlich Online-Unterricht bekommen, und der wird auch weiter zu den 15 Präsenzstunden erteilt. Gibt es erste Erfahrungen über die Effizienz von Homeschooling? "Nein", sagt der Schulamtsdirektor, "aber wir haben Rückmeldungen von den Eltern bekommen." Viele seien sehr zufrieden gewesen, aber manche Mütter und Väter, die beruflich im IT-Bereich arbeiten und mit Online-Seminaren vertraut sind, "haben ein Anspruchsniveau, das unsere Lehrer einfach nicht leisten können". Ein Ersatz fürs reale Klassenzimmer könne allerdings auch der perfekteste virtuelle Unterricht nicht sein: "Kinder brauchen einen Lehrer, für den sie lernen", sagt Jungwirth. Was jeder Erwachsene bestätigen wird, wenn er nach seinem Lieblingslehrer gefragt wird. Die Rektorin einer kleinen Schule im südlichen Landkreis hat das sehr ernst genommen: Jeden Schüler habe sie einzeln angerufen, berichtet Jungwirth, und ihn in Englisch unterrichtet.

Kindern aus "bildungsferneren Familien", präzisiert Jungwirths Stellvertreter, der Schulrat Erich Golda, dürfe allerdings kein Nachteil entstehen. Wenn jetzt der Präsenzunterricht wieder aufgenommen wird, müsse es, sagt Golda, "eine intensive Ankommphase" geben. Das habe das Ministerium angeordnet. Konkret: "Von den Lehrkräften wird erwartet, dass sie die Schüler fördern, die ein bisschen abgehängt wurden." Da sei die geringere Klassenstärke ein Vorteil. Jungwirth ist überzeugt: "Ich glaube, dass die Lerndefizite relativ schnell ausgeglichen werden."

 

Und wenn die Noten fürs Übertrittszeugnis doch nicht reichen sollten? Das bayrische Kultusministerium zeigt Herz für Schüler: "Wir haben die Vorgabe", sagt der Schulamtsdirektor, "die Noten im Sinne der Kinder pädagogisch zu geben." Will heißen: "Dass Kinder die Klasse wiederholen müssen, dazu gibt es meines Erachtens keine Veranlassung."

Trotzdem bleibt die Frage: Verpassen die Schüler nicht Unterrichtsstoff in den Nebenfächern, der bisher wichtig war? Fehlt ihnen da nicht Wissen? "Ja", sagt Golda, "aber fehlen ihnen etwa lebensbedeutende Inhalte?" Die Schüler würden doch jetzt etwas lernen, was nicht auf dem Lehrplan steht: Krisenmanagement. Für die Übergänge auf andere Schulen, so Golda, müssten andere Schwerpunkte bedacht werden. Ohnehin denke das Kultusministerium darüber nach, die Lehrpläne "abzuspecken" um das, "was nicht so grundlegend fürs Leben ist". Eine Maßnahme, die für die Krisenzeit gilt und nicht auf Dauer angelegt sei. Jungwirth: "Es gibt keine Alternative."

Das größte Problem aber ist der akute Lehrermangel. Schon jetzt fehlen in Bayern 1500 Pädagogen. Das Kultusministerium hat schon vor Corona bei allen Pensionären bis 69 Jahre angefragt, ob sie für wenige Stunden zurück in den Beruf gehen wollen. Im Landkreis, sagt Jungwirth, haben sich von den 50 Angeschriebenen vier für das Angebot interessiert. Das ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein, denn wegen der Pandemie ist es Lehrern über 60, weil sie zur Risikogruppe gehören, freigestellt, ob sie zum Unterricht kommen. Wer jünger als 60 ist und unter einer Vorerkrankung leidet, kann mit einem ärztlichen Attest ebenfalls zu Hause bleiben. Aber damit nicht genug: Schwangeren Lehrerinnen, sagt Jungwirth, ist es strikt untersagt, das Schulgebäude auch nur zu betreten. "Derzeit haben wir kein Problem", meint Jungwirth, "aber wenn am 15. Juni für alle wieder die Schule beginnt, dann wird das ein Problem, und zwar kein kleines." Wie er das lösen will? "Das funktioniert dann nur, wenn man die Kollegen überbelastet und außerdem die Vorbereitungsarbeit für den Unterricht und die Korrekturarbeiten an die Kollegen gibt, die zu Hause bleiben."

Keine guten Aussichten, vor allem, weil sich die Situation an den Schulen auf absehbarere Zeit nicht ändern wird. Gibt's ein Szenarium für das kommende Schuljahr nach den Sommerferien? Jungwirth: "Meine Hoffnung ist, dass alles normal wird. Aber wenn wir weiter Notprogramme fahren müssen, dann fahren wir sie eben." Und nehmen in Kauf, dass "Corona-Schüler" dümmer sind als Kinder vergangener Jahrgänge? Jungwirth antwortet mit einem Vergleich: "Es heißt doch immer, das bayrische Abitur ist das schwerste in Deutschland. Aber von allen Dax-Vorständen kommen nur zwei aus Bayern." Heißt: Auch mit einem Bremer Abi kann man es nach ganz oben schaffen. Und dann führt Jungwirth noch seine Tochter an, die als 15-Jährige in Neuseeland die Vorabschlussklasse zum Abitur besucht hat. Sie habe dort gelernt, sagt der Schulamtsdirektor, einen Rasenmäher auseinanderzunehmen. Da stelle sich doch die Frage, "ist das Wissen, das wir in der Schule vermitteln, so lebensnotwendig, wie wir uns das vorstellen? Eine Delle werden wir mit Sicherheit nicht merken."