Vohburg
"Hauptsache guad"

"Dackel" Robert Hirmer und seine drei Leidenschaften: Musik, Schmetterlinge und Schafkopfen

12.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:05 Uhr

 

Vohburg (PK) „Der Blues hat mich gefunden“ – dieser Satz bringt das Leben von „Dackel“ Robert Hirmer auf den Punkt. Neben der Musik hat der Sänger und Akkordeonist, der mit den Gunmen beim Geisenfelder Bluestag auftritt, nur zwei weitere Leidenschaften: Schmetterlinge und Schafkopfen.

Das Markenzeichen des 54-jährigen Vohburgers ist das zerknautschte Gesicht, das sich beim energiegeladenen Spiel ebenso in Falten legt, wie seine Quetschn. Als wolle er auch das letzte Quäntchen Emotion regelrecht aus sich und seinem Instrument herauspressen. Wer ihm im normalen Leben gegenüber sitzt, entdeckt jedoch lediglich altersgemäße Lachfältchen um die lebendigen grau-blauen Augen.

Überhaupt – je mehr man sich mit Hirmer unterhält, desto weniger passt der Mann im gepflegten schwarzen Outfit mit der sauber gestutzten Spitzbart-Schnauzer-Kombination ins Blues-Klischee. Kein forsches Auftreten, keine locker- flockigen Sprüche. Eher schüchtern – immer leicht nervös mit einem Zahnstocher spielend – gibt er Details aus seinem Leben preis. Zögerlich. Vor sich ein alkoholfreies Bier, das er aus der Flasche trinkt.

1958 in Vohburg geboren, ist er der Stadt bis heute „mit Leib und Seele verbunden“. Den Beinamen „Dackel“ hat er übrigens, weil er für gute Leistungen in der fünften Klasse einen solchen geschenkt bekam und fortan von nichts anderem mehr reden wollte. Das Gymnasium brach er in der elften Klasse – trotz Vierbeiner – ebenso ab, wie ein später in Augsburg begonnenes Grafikdesign-Studium. Dazwischen absolvierte er immerhin erfolgreich die FOS in München, Fachrichtung „Gestalten“.

Ein regelmäßiges Arbeitsverhältnis ist der Künstler nie eingegangen. Fast möchte man sagen, „zum Glück“. Denn die sympathischen Ecken und Kanten dieses sehr sensibel wirkenden Individualisten wären dabei womöglich rundgeschliffen und damit wirkungslos geworden.

Sein Lebensmittelpunkt ist die Musik. 1977 steigt er als Keyboarder in die Band Eynhorn ein. Weil er das Instrument nie erlernt und nur „an einer Orgel aus der Erbmasse eines Bekannten“ üben konnte, „hab ich mehr nach dem Ein-Finger-Suchsystem begleitet“, gesteht er mit einem kehligen Lachen.

Seine Stunde schlägt, als der eigentliche Sänger ausfällt und ihn die Kollegen lapidar auffordern „na singst halt du“. Singen – mit diesem Verb ist das, was der Barde seiner Kehle abringt, jedoch nicht im Ansatz beschrieben. Wer ihn einmal gehört hat, weiß das. Er plärrt, röhrt, schnörkelt und lotet mit einem ganz individuellen Timbre die Seele des Blues aus.

Die Quetsche, die er mit sechs Jahren zu spielen begann, war eine Zeit lang in der Versenkung verschwunden. Heraus holte er sie erst wieder mit 13 Jahren, als seine Mutter das mangels Nutzung verstaubte Instrument entsorgen wollte. Bald begann Hirmer Jethro Tull oder Uriah Heep „zusammen zu stopseln“. Geht doch, dachte sich der Dackel, und spätestens als sein Schrei zu „It’s all right now“ den Kommentar auslöste: „Boh, das klingt wie echt“, wusste er, wo es für ihn langgehen sollte.

Gemeinsam mit dem als Kabarettist bekannten Günter Grünwald und dem Schlagzeuger Gerhard Spreng, mit dem er noch heute musikalisch verbunden ist, spielt er in der Formation mit dem klingenden Namen „United Cervelat“ – unter anderem mehrfach im legendären Jazzclub Mendorf. Man hat große Ambitionen, 1984 wird die erste LP aufgenommen. „Aber irgendwie haben wir dann doch nur eine lokale Euphorie ausgelöst“, meint der Leadsänger augenzwinkernd. Auf eine Welttournee wäre er ohnehin nicht scharf gewesen. Wo es ihn doch schon vor einem Urlaub in Italien graust. „Des hätt i ned derpackt“, ist er sicher.

Hirmer ist zufrieden, so wie es ist. Er führt ein Leben ohne große Ansprüche. „Ich muss ja keine Familie ernähren, rauche und saufe nicht“, verrät er mit einem Schmunzeln.

Von harten Drogen hat er immer die Finger gelassen. Zu viele sah er daran zugrunde gehen. Und außerdem „hatte ich Angst vor dem Kontrollverlust“, gesteht er. Weniger zurückhaltend war er, wenn es um einen gepflegten Joint ging, „was damals in der Szene durchaus üblich war.“ Allerdings brachte ihm diese Vorliebe Ende der 1970er Jahre sogar 14 Tage hinter schwedischen Gardinen ein. „Da hab ich mich gefühlt wie ein Würstl“, erinnert er sich. „Andererseits ist bei mir dadurch auch das Zehnerl gefallen, dass dies nicht mein Weg in die Zukunft sein sollte“. Beim Alkohol hat diese Einsicht etwas länger gedauert, nicht zuletzt „weil das Trinken bei uns gesellschaftsfähig ist“.

Fehlt noch das letzte Element, das dem Klischee gemäß einen Blues-Musiker ausmacht: die Kippe im Mundwinkel. Doch auch das Rauchen hat der inzwischen ganz abstinent Lebende aufgegeben: „Ich hatte es irgendwann einfach dick und außerdem wollte ich meinem inneren Schweinehund mal zeigen wer der Chef ist“. Musikalisch verläuft sich das „Cervelat-Projekt“, es folgen weitere Versuche, wie die Cruel Gunmen, die „nicht wirklich tragen“. Aber die Kohle braucht es halt und so verdingt sich Hirmer als musikalischer Begleiter auf Donaufahrten „obwohl ich musikalisch was anderes im Kopf und im Herzen hatte“. Er beginnt eigene Songs zu schreiben.

Am besten findet er selber jene Werke, die aus einer Lebenskrise oder Liebeskummer heraus geboren wurden, wie etwa „Send you roses“. „Ich leide extrem intensiv und lange“ meint er mit einer Prise Selbstironie.

Aber natürlich braucht es auch Sachen mit Drive. Zu denen motivieren ihn die Kollegen aus den beiden Bands, die bis heute für ihn als „Shouter“ mit der einzigartigen Stimme und dem inbrünstigen Akkordeonspiel Heimat geworden sind: die fünfköpfige Truppe „The Gunmen“, die heuer ihr 20-jähriges Bestehen feiert und das Trio „Rad Gumbo“. Gemeinsam ist ihnen die „handgemachte, erdige Musik“: Blues mit einer Prise Soul, einem Tick Zydeco und einem Bisserl Südstaaten-Rock. Aber auch anderen musikalischen Einflüssen verwehrt man sich nicht: „Hauptsache guad!“.

Hirmers Eigenkompositionen erhalten durch die Bandkollegen den letzten Schliff, werden als ehrlich und authentisch von Kritikern gelobt. Sein Akkordeonspiel wirkt geradeheraus, direkt, intuitiv, „aber nicht perfekt“, so der bescheidene Einwurf.

Anlässlich eines Auftrittes im Lustspielhaus titelt die Süddeutsche 2008, dass Dackel Hirmer „sich im Motivbaukasten der Powerfolklore aus der New-Orleans-Region bestens zu bedienen versteht. Rad Gumbo zog damit den Joker des Abends“.

Wenn er einmal nicht probt oder beim Tollwood-Festival, im Hide Out oder dem Bluesfest Ingolstadt – um nur einige Auftritte zu nennen – auf der Bühne steht, ist er auf der Suche nach jenen filigranen und flüchtigen Wesen, die ihn so faszinieren: Schmetterlinge. Mit seiner kleinen Kamera fängt er sie ein, macht sensationelle Nahaufnahmen und dokumentiert seine Funde akribisch. „Eigentlich bin ich eher ungeduldig, aber ich mach das mit Hartnäckigkeit wett“, erklärt er seine reiche Ausbeute. Die schönsten Exemplare gibt er als Schmuckbild in Form von Kalendern heraus. Früher hat er auch gemalt, mit Tusche und Bleistift oder mit Dispersionsfarben im Stile des fantastischen Realismus. Wenn er auf „seine“ Insekten zu sprechen kommt, bricht wieder die Leidenschaft durch. Die derzeit extrem betriebene Holzernte in unseren Wäldern oder auch der „allgegenwärtige und blindwütige Mähwahn“, der ihren Lebensraum zerstört ist ihm ein Dorn im Auge, der wenig pflegliche Umgang mit der Umwelt überhaupt. Und wer genau hinschaut, der sieht, dass bei diesem Thema plötzlich die Falten wieder da sind.