Schrobenhausen
Gruselig, schaurig

"Tannöd" als musikalisches Schauspiel bei den Pavillonkonzerten

20.11.2011 | Stand 03.12.2020, 2:09 Uhr

Es wird unheimlich, wenn Johanna Bittenbinder und Heinz-Josef Braun mit musikalischer Unterstützung die auf dem ungeklärten Mord von Hinterkaifeck basierende Geschichte von Tannöd erzählen. Vorn: der schwarze Hut - Foto: Hammerl

Schrobenhausen (SZ) Die Veranstaltung war seit Wochen ausverkauft. Kein Wunder: Hinterkaifeck ist im Schrobenhausener Land ein Zugpferd. Jetzt gab es beim Pavillonkonzert „Tannöd“ auf der Bühne – und enormes Interesse.

Der schwarze Hut bleibt dem Mörder vorbehalten. Und den Musikern, doch die haben mit dem Mord nichts zu tun. Nur insofern, als die Tuba ebenfalls den Mörder begleitet. Einen außergewöhnlichen Krimiabend mit Gänsehautcharakter erlebten die Konzertbesucher im ausverkauften Pavillon der Musikschule am Samstagabend.

Konzertlesung mit Lokalkolorit? Schauspiel mit Begleitmusik? Schauergeschichte? „Tannöd“ hat von allem etwas. Vielleicht geht der Stoff – der Krimibestseller von Andrea Maria Schenkel beruht auf dem ungeklärten Sechsfachmord in Hinterkaifeck – in Schrobenhausen aufgrund der räumlichen Nähe ganz besonders unter die Haut. Der unglaublichen Bühnenpräsenz der beiden Vorlesenden aber dürften sich auch diejenigen nicht entziehen können, die mit Hinterkaifeck nichts anzufangen wissen.

Johanna Bittenbinder und Heinz-Josef Braun schlüpfen in 19 verschiedene Rollen, darunter die des Mörders. Der wird im Gegensatz zu den anderen, meist in der Ich-Perspektive erzählenden Personen, nicht angesagt, Braun setzt lediglich mit wohl überlegter Handbewegung jenen schwarzen Hut auf, und schon läuft der erste Schauer über den Rücken. Kuhglocken und raschelndes Stroh, erzeugt vom Schlagzeuger, begleiten den Mörder in den Kuhstall, wo er nach seiner Tat die Tiere versorgt. Noch fünfmal wird er sich zu Wort melden, von seiner Panik erzählen, als er feststellte, dass er sein Taschenmesser in der Küche des Hofes vergessen hat, wie er von einem Albtraum verfolgt wird und schließlich erzählt er, wie er in Streit mit der jungen Dannerbäuerin Barbara geriet, sie würgte und schließlich mit der Spitzhacke erschlug.

Auch die Opfer, das Austragsbauernehepaar Hermann und Theresia Danner, deren Tochter Barbara Spangler, ihre Kinder Marianne und Josef sowie die Magd Maria Meiler kommen zu Wort. Lebhaft erzählend schlüpft Bittenbinder in die Rollen von Schulkameradin Betty und Mordopfer Marianne. Eben noch achtjährig, mimt sie gleich darauf Babette Kirchmeier, eine 86-jährige Beamtenwitwe. Sprachmodulation, Mimik und – sparsam eingesetzt – Gestik sind das Handwerkszeug der beiden Schauspieler, deren immense Wandlungsfähigkeit den unheimlichen Spannungsbogen bereichern.

Der Zuhörer spürt die unheimliche Atmosphäre auf dem Einödhof regelrecht am eigenen Leib, leidet mit den Opfern, die ahnungslos in die Falle tappen, aber auch mit dem Nachbarn Johann Sterzer und dessen Knecht Lois, denen beim Anblick der Leichen schlecht wird, während Georg Hauer, ebenfalls Nachbar und Bürgermeister, erstaunlich nüchtern vorgeht. Erheiternd, soweit das bei dem Thema möglich ist, wirken die Ergüsse des aufgeregten, Stakkato erzählenden Postboten Ludwig Eibl oder der abergläubischen Pfarrköchin.

Doch was wäre diese Lesung ohne die Musik beim Pavillonkonzert? Das Art Ensemble of Passau liefert die zur Erzählung passenden Geräusche. Leo Gmelch (Tuba, Posaune), Peter Tuscher (Trompete), Yogo Pausch (Schlagwerk) und Christian Ludwig Mayer (Akkordeon, Gitarre, Trompete und Komposition) sind in urbayerischer Musik daheim und das bringen sie mit Spielfreude, aber auch einem Hang zur Mystik rüber. Das ist weit mehr als eine Lesung mit Musik, das ist großes Theater, rundum empfehlenswert.