Unterwengen
Großeinsatz in der Rockerszene

Bei einer bayernweiten Durchsuchungsaktion nach Waffen und Drogen werden die Ermittler auch in der Region fündig

06.03.2013 | Stand 03.12.2020, 0:25 Uhr

 

Unterwengen/München (DK) Prostitution, Drogenhandel, Schutzgelderpressung: Rockerbanden wie die Bandidos oder die Hells Angels werden immer wieder schwerer Verbrechen beschuldigt. Gestern gingen bayerische Ermittler mit einer Großrazzia gegen die Rocker vor – und wurden an vielen Orten fündig.

Morgens in Unterwengen im Landkreis Pfaffenhofen: Die Einsatzfahrzeuge der Polizei sind von Weitem zu sehen. Beamte haben ein Gehöft in der Gemeinde Gerolsbach umstellt – Fluchtversuch zwecklos. Vor einigen Jahren wurde an dem Haus der Schriftzug „Bandidos“ in riesigen Buchstaben an die Fassade gepinselt. Ganz offensiv. Die Rockerbande hatte sich dort vor einigen Jahren niedergelassen. Trotzdem wirkt das Anwesen verlassen. Nur die überquillende Restmülltonne zeugt von Bewohnern.

Vorne am Haupteingang wird das Areal von fünf Beamten abgeriegelt. Sie tragen kugelsichere Westen, halten ihre Waffen mit beiden Händen. Angespannt wirken sie nicht, die Situation ist offensichtlich unter Kontrolle.

Razzia gegen die Rockerklubs: Wie in Unterwengen ging es gestern an vielen Orten in Bayern zu. In einer lange geplanten Aktion schlug die Polizei zu. 1700 Sicherheitskräfte halfen bei dem Einsatz mit. Das Polizeipräsidium Oberpfalz in Regensburg leitete die Aktion. Die bayerischen Behörden hatten zusätzlich zu den eigenen Leuten Spezialkräfte aus anderen Bundesländern angefordert, weil sie mit gewalttätigem Widerstand rechneten.

Neben den Bandidos gingen die Beamten auch gegen die Rockerklubs MC Trust und MC Mongols vor. In vier Regierungsbezirken gab es Durchsuchungen – in der Oberpfalz, in Niederbayern, Oberbayern und Mittelfranken. Insgesamt standen mehr als 140 Objekte auf der Liste der Sicherheitskräfte, darunter fünf Klubheime wie das im Landkreis Pfaffenhofen. Sie suchten nach Drogen, nach Waffen und anderen verbotenen Gegenständen. Und sie sammelten Eindrücke über die Strukturen der Rockerbanden in Bayern.

Am Sitz des „Chapters Ingolstadt“ in Unterwengen führen die Beamten ihren Einsatz in aller Ruhe durch. Chapter nennen die Bandidos ihre Ortsverbände. Rund ein Dutzend Einsatzfahrzeuge hat sich am Morgen dort versammelt. Immer wieder tauchen Polizisten am Eingang auf, beraten sich kurz. Über ihnen der schwarze Motorradtank einer Harley Davidson, der oberhalb der schmucklosen Tür montiert ist. Auch hier, an der Hauswand, gibt es einen Schriftzug, „El Rancho“ und „Bandidos MC“.

Rockerbanden wie die Bandidos und die Hells Angels stammen aus den Vereinigten Staaten. In den vergangenen Jahren erregten sie auch mit ihren deutschen Gruppierungen immer wieder Aufsehen. Ermittler berichten von Bandenkriegen zwischen den Gruppierungen. Sie gehen von Revierkämpfen aus. Die Rocke verteidigten ihre jeweiligen Gebiete, in denen sie Prostitution, Drogenhandel und Schutzgeldgeschäfte betreiben können, heißt es. Es gab schon Verletzte und Tote. In Rheinland-Pfalz erschoss ein Hells Angel vor drei Jahren sogar einen Polizisten – weil er ihn angeblich für einen Bandido hielt.

Wie lange genau die Bandidos in Unterwengen sind? Wohl seit etwa zehn Jahren. Irgendwann prangte der Name an der Hauswand. Damit konnte jeder sehen: Die Rocker hatten sich häuslich eingerichtet. Die Polizei beobachtete genau, was in Unterwengen passiert. Aber: Es passierte nicht viel. Offiziell bekannt wurden nur zwei Vorgänge: Im März 2008 gab es schon einmal eine Razzia, als sich hier rund 150 Bandidos-Anführer versammelten; gefunden wurde nichts, keine Waffen, keine Drogen. Ein Jahr zuvor im August waren rund 200 Biker nach Pfaffenhofen gekommen, um dort einem verstorbenen Freund das letzte Geleit zu geben.

In letzter Zeit erschien ungewiss, ob die Rocker an dem Standort tatsächlich noch formell organisiert sind. Auf der offiziellen Bandidos-Homepage im Internet wird das Chapter Ingolstadt noch geführt. Die lokale Website ist aber geschlossen. Immerhin: Ein Eintrag ist noch auf einer Unterseite zu finden, mit dieser Adresse: „Clubhouse BMC Ingolstadt, Unterwengen 1“. Dort halten die Einsatzkräfte gestern stundenlang die Stellung. Sie suchen, prüfen, kontrollieren. Ob sie etwas gefunden haben, wird vorerst nicht bekannt. Nachrichtensperre.

Den Einsatz verbucht Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am frühen Nachmittag als Erfolg. In einem Konferenzraum des Landtags berichtet er, was die Beamten gefunden haben: Mehr als 80 Kurz- und Langwaffen, Munition, Messer, Schlagringe, „erhebliche Mengen“ an Drogen. Drei Personen werden dem Haftrichter vorgeführt. Widerstände gab es nicht. Schon jetzt sei klar, dass den Behörden „ein weiterer wichtiger Schlag“ gegen illegalen Waffenbesitz und Drogenhandel gelungen sei, sagt der Minister. Der Kampf gegen kriminelle Rockerbanden werde „konsequent fortgesetzt“.

Das Ministerium geht von rund 1500 Rockern in Bayern aus. Nicht allen könne man Verbrechen nachweisen, sagt Herrmann. Es sei aber „unübersehbar, dass viele dieser Rockergruppierungen kriminelle Ziele verfolgen“. Auslöser des gestrigen Einsatzes waren Ermittlungen aus dem vergangenen Jahr. Im Frühjahr 2012 hatte es schon zwei Einsätze im Rockermilieu gegeben. Etliche Bandenmitglieder wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Mit Strafverfahren ist auch nach dem gestrigen Einsatz zu rechnen.

Möglicherweise auch gegen Bandidos aus Unterwengen. Von dort sickert gestern doch noch eine Information durch: Eine abgesägte Schrotflinte haben Ermittler dem Vernehmen nach gefunden.