Grenzenloser Fortschritt: Bürgermeister hat jetzt Internet

04.12.2009 | Stand 03.12.2020, 4:26 Uhr

Die Riedenburger gelten gemeinhin als durchaus tolerantes Völkchen. Das gehört heutzutage zwar schon fast zum guten Ton, ist aber doch eine Erwähnung wert. Menschen aus aller Herren Länder sind hier willkommen. Zu jeder Jahreszeit. Und außerhalb der Tourismussaison wahrscheinlich sogar noch mehr. Ob Besucher aus Franken, aus Norddeutschland oder aus einem dieser Länder jenseits der Stadtgrenze, die der bodenständige Riedenburger nur vom Hörensagen kennt. Nur die 40-Tonner, die regelmäßig durch Buch brettern, die wollen die Bürger nicht mehr haben. Trotzdem: Ganz schön tolerant, diese Riedenburger.

Ganz anders als zum Beispiel die Schweizer. Die haben es jetzt bekanntlich mit ihrem Minarettverbot auf eher unrühmliche Art in die Schlagzeilen geschafft. Oder die Ingolstädter. Bei denen sitzt zwar seit mehr als sieben Jahren ein Nordlicht auf dem Chefsessel im Rathaus. Dass die Bevölkerung den gebürtigen Quickborner – das liegt im Landkreis Pinneberg – inzwischen akzeptiert hat, darf allerdings bezweifelt werden. Böse Zungen behaupten sogar, die Wähler hätten damals aus reiner Gewohnheit ihr Kreuzchen bei dem CSU-Mann gemacht.

Der verantwortungsbewusste Riedenburger würde seine Volksvertreter freilich nie nach dem Motto "Des ham mir scho immer so g’macht" wählen. Er entscheidet vielmehr nach dem Toleranzschema. Jeder darf mal – sozusagen. Ein Blick auf die Sitzverteilung im Stadtrat ist Beweis genug. Neben dem konservativen Schwarz sitzt das freie Orange, daneben ein bunter Haufen und am Tischende ein bisschen liberales Gelb. Und gegenüber: ein farbloses Gemisch und ein soziales Rot. Kunterbunt also. Ein regelrechtes Musterbeispiel an Toleranz.

Nur der Bürgermeister, der will noch nicht mitmachen bei all der gutbürgerlichen Toleranz. Er spielt lieber in seiner eigenen Liga. Mit seiner Ex-Widersacherin Kirsten Armbruster hat sich Michael Schneider zum Beispiel nie anfreunden können. Vielleicht, weil sie einen ganz anderen Politikstil als Schneider pflegt. Vielleicht auch, weil sie aus dem Ruhrpott kommt. Oder vielleicht, weil es Schneider mit Kurt Tucholsky hält. "Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte recht haben", soll der deutsche Schriftsteller mal gesagt haben. Und dass die wortgewandte Frau Doktor recht haben könnte, das wiederum wollte sich der Bürgermeister sicher nicht nachsagen lassen.

Bei anderen Themen lässt sich Schneider derweil nicht lumpen. So freundet sich der bislang wenig technikaffine Rathauschef immer mehr mit den Vorzügen des Fortschritts an. Den "Vorsprung durch Technik" hat der bekennende Audi-Fan seit Jahren zwar lediglich in seiner heimischen Garage. Wenn’s ums Riedenburger Sorgenkind DSL geht, scheint der Bürgermeister in jüngster Zeit aber zu absoluter Hochform aufzulaufen. Seit kurzem hat er das schnelle Internet sogar zu Hause – in Form einer Verbindung über Satellit, wie der gesellige Rathauschef gerne erzählt.

Damit die Megabytes irgendwann vielleicht einmal per Funklösung ins heimische Hattenhofen flitzen, will die Stadt jetzt übrigens den Funkmast auf dem Jachenhausener Berg umrüsten. Das ist den meisten Riedenburgern wahrscheinlich auch lieber als ein Minarett in der Altstadt. Einen Gebetsturm gibt’s dort zwar, der ist allerdings katholisch und nicht islamisch. Und die Vorstellung, dass Stadtpfarrer Karl-Heinz Memminger vom Glockenturm aus seine Schäfchen zum Gebet ruft, ist eh undenkbar. Dann doch lieber eine gut bayerische Version. Natürlich samt "Gstanzl-Blärrer". Oder doch lieber diese laute Frau Doktor? Entscheiden Sie selbst. ? Stefan Janda