Ingolstadt
Grandiose Schauerkomödie

Manuela Brugger und Margret Gilgenreiner spielen Edgar Allan Poe im Altstadttheater

01.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:50 Uhr
Zwei mysteriöse Trauergäste (Manuela Brugger und Margret Gilgenreiner) stoßen auf ein gruseliges Geheimnis. −Foto: Wobker

Ingolstadt (DK) Wohliges Gruseln löste die atemberaubende Premiere der Schauerkomödie "Oh Edgar, mein Edgar" beim Publikum aus.

Kein Wunder, denn was die beiden kongenialen Schauspielerinnen Manuela Brugger und Margret Gilgenreiner auf die kleine, aber feine Ingolstädter Bühne brachten, war Theater zum Anfassen: Ein variables Bühnenbild in Grau, Schwarz und Weiß (Ausstattung: Christina Huener), die grauenvoll authentische Hintergrundakustik und Beleuchtung, die ausdrucksstarke Mimik und messerscharfe Diktion der beiden trauernden Witwen: So wurde der große amerikanische Literat Edgar Allan Poe 75 Minuten lang wiederbelebt und stand mit seinen mysteriösen Texten mitten unter den Zuschauern, die von einem Entsetzen ins andere stürzten.

Denn Brugger und Gilgenreiner bewegten sich in fast völliger Dunkelheit, nur mit einer Laterne bewaffnet, durch das "Theatergewölbe", bis eine von ihnen plötzlich in einer Nische verschwand - wie in jener berühmten Kurzgeschichte "Das Fass Amontillado", deren Ich-Erzähler Montrésor den verhassten, trunksüchtigen Fortunato unter einem Vorwand in die Gewölbe unter seinem Palazzo lockt und ihn dort aus Rache für tausendfache Erniedrigungen bei lebendigem Leibe einmauert.

Die Abgründe der menschlichen Seele faszinierten den 1809 in Boston geborenen Schriftsteller und Journalisten Poe zeitlebens. Um seinen frühen Tod ranken sich zahlreiche Gerüchte. Und angeblich kamen nur vier Trauergäste zu seiner Beerdigung. Diese Beerdigung macht Regisseurin Leni Brem-Keil zum Ausgangs- und Zielpunkt der Ingolstädter Schauerkomödie: Zwei rätselhafte Witwen stehen in historischen Gewändern auf der Bühne, zwischen ihnen nur die Urne mit der Asche des Schriftstellers, dessen Frau gewesen zu sein beide für sich beanspruchen: "Oh Edgar, mein Edgar. "
In diese Rahmenhandlung hat Brem-Keil vier geniale Werke Poes eingebettet: die Short Stories "Das Fass Amontillado", "Die Tatsachen im Fall Waldemar" und "Doppelmord in der Rue Morgue" sowie das weltbekannte epische Gedicht "Der Rabe". Brugger und Gilgenreiner verwandeln sich blitzschnell in die Protagonisten der Geschichten, werden etwa zu Kommissar Dupin, der in einem rätselhaften Pariser Doppelmord an zwei Frauen ermittelt, oder nehmen plötzlich die Gestalt des sterbenden Waldemar an, der von seinem Freund hypnotisiert wird, um den Effekt des animalischen Magnetismus zu studieren. Zum Brüllen komisch ist es da, wenn Margret Gilgenreiner als Waldemar in Trance spastisch zuckt, die Zunge vibrieren und die Augäpfel rollen lässt.

Immer wieder ziehen die Schauspielerinnen biografische Parallelen zu Edgar Allan Poe und seinem Interesse am Übernatürlichen und Degenerierten, am Horror und Albtraum. Dabei wechseln sich Dialog und Narratio, Spiel und Rezitation im beeindruckenden Stakkato ab. Es bleiben aber auch nachdenkliche Augenblicke, an denen die Handlung innehält, wenn die Witwen etwa bekennen: "In jeder seiner Geschichten steckt Wahrheit. Er hat sich vom Leben inspirieren lassen. " Und am Ende weisen sie gar der Welt die Mitschuld am Tod des weltbekannten Literaten zu: "Wir haben ihn getötet, wir haben ihn erlöst. Alles was wir tun, entspringt seinem Geist. "

Am dichtesten präsentiert das Duo die 1845 veröffentlichte Ballade "Der Rabe": Es ist jene düstere Geschichte des Mannes (Gilgenreiner), der in Trauer um seine eben verstorbene Geliebte Lenore eines Nachts durch ein Klopfen an der Tür aufgeschreckt wird und zu seinem Schrecken einen riesigen Raben (Brugger) einlässt. Dieser krächzt auf jede der Fragen des Mannes ein stereotypes "Nimmermehr" - was diesen schier zur Verzweiflung bringt. Er hoffte nämlich, durch den Raben als Medium Kontakt zu seiner Geliebten aufnehmen zu können und Linderung für seinen Schmerz zu erhalten. Am Ende aber legt der Erzähler seine Seele in den Schatten des Raben und ist sich gewiss, dass sie "nimmermehr" aufsteigen wird.

Es sind diese Momente, in denen dem Publikum der Atem stockt. Edgar Allan Poe wird zu Grabe getragen und zugleich erlebt man die Auferstehung seiner rabenschwarzen Texte und mysteriösen Gedanken. Epische und lyrische Texte einem Theaterpublikum derart authentisch zu präsentieren, macht die große Leistung von Manuela Brugger und Margret Gilgenreiner aus. Ein faszinierend er Abend voller Poesie und menschlicher Abgründe.

ZUM STÜCK
Theater:
Altstadttheater Ingolstadt
Regie:
Leni Brem-Keil
Ausstattung:
Christina Huener
Weitere Vorstellungen:
16. und 23. Februar, 2. März
Kartentelefon:
(0841) 9666800

Dagmar Kusche