Gott ist mittendrin im Leben - Evangelische Weihnachtsansprache

23.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:16 Uhr

Ingolstadt (dk) Die Evangelische Gemeinde ist am Heiligen Abend um 17 Uhr in der Matthäuskirche zur Vesper zusammengekommen. Lesen Sie hier die Weihnachtsansprache von Dekan Thomas Schwarz.

Liebe Christinnen und Christen,

schön, dass es die Weihnachtsstimmung gibt, dass am Heiligen Abend Kerzen brennen und Christbäume leuchten und dass in der Stadt Straßen und Fenster dekoriert sind. Schön, dass wir zuhause den Abend mit lieben Menschen verbringen, uns Geschenke machen, miteinander essen und trinken und schön angezogen sind für den vor uns liegenden Abend. Schön, dass es die Weihnachtsstimmung auch hier in unserer Kirche gibt: Sie ist bis auf den letzten Platz gefüllt, geschmückt mit dem großen Christbaum und dem Stern am Fenster. Schön, dass wir miteinander Lieder singen, die uns an anrühren und in uns eine ganz bestimmte Stimmung – eben die Weihnachtsstimmung – wecken.

Schön, dass es die Weihnachtsstimmung gibt, denn sie gibt der Weihnachtsbotschaft Wurzeln in unseren Herzen, in unseren Gefühlen und in unserer Seelen.

Theologische Richtigkeiten auszutauschen, wäre nicht nur ziemlich fade. Es würde auch den Kern der Weihnachtsbotschaft verfehlen. Denn es ist eine Botschaft an den ganzen Menschen, eine Botschaft, die unseren Verstand, unser Herz und unsere Gefühle - eben die ganze Existenz angeht.

Wenn in den letzten Tagen - vielleicht besonders heute am Heiligen Abend - dem einen oder der anderen eine Träne kommt, beim Hören eines Weihnachtsliedes, beim Öffnen eines Geschenks, beim Wiedersehen mit der Familie, oder auch in der Trauer über einen lieben Menschen, der zum ersten Mal an Weihnachten nicht mehr da ist - dann sind das wahrhaft weihnachtliche Tränen.

Denn sie kommen mitten aus dem Leben: aus der Freude, aus der Trauer, aus der Verlorenheit, aus der Fülle unseres Lebens. Genau davon handeln die Worte aus der Weihnachtsgeschichte. Denn sie erzählen, dass Gott wie ein Mensch in unser Leben gekommen ist.

Sie reden davon, dass Gott sozusagen Heimat gefunden hat in unseren Lebenswelten, in den äußeren Lebenswelten und in den inneren Lebenswelten. In der Weihnachtsgeschichte heißt das so: „Fürchtet Euch nicht! Siehe ich verkündige Euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn Euch ist heute der Heiland geboren.“

Das ist die ungeheure Botschaft, die wir an Weihnachten feiern. Wir können sie vielleicht mit unserem Verstand nicht wirklich begreifen. Wir können ihre revolutionäre Bedeutung für uns persönlich und für die ganze Welt nur in der Seele ahnen, uns von den Lichtern sinnlich dafür öffnen lassen. Aber sie fasziniert uns. Und weil uns diese Faszination nicht loslässt, deswegen sind wir so empfänglich für die Weihnachtsstimmung.

Deswegen spielt dabei Harmonie eine so große Rolle. Deswegen erwarten wir von dieser Stimmung, dass die Widersprüche unseres Lebens in einem ganz tiefen Sinne darin aufgehoben sind. Und diese Stimmung, diese Faszination, dieses Weihnachtsgefühl kehrt alle Jahre wieder – in der Advents- und Weihnachtszeit und ganz besonders am Heiligen Abend.

Gibt es überhaupt so einen Gott? Wo ist Gott? - Das ist ja eine Frage, die viele Menschen heute bewegt.

Es kann eine philosophische Frage sein. Dann kann ich mit meinem Verstand, mit all meinem aufgeklärten Wissen und mit meinem Intellekt eine Antwort für mich finden.

Und es kann eine sehr existentielle Frage sein. Wo ist Gott?

So schreien oder stammeln Menschen, die in den vergangenen Monaten Schlimmes in ihrem Alltag erlebt haben. Die, die durch einen schrecklichen Unfall oder durch eine Gewalttat Mann, Frau oder Kinder verloren haben.

So schreien aber auch Menschen, die auf den Booten vor Lampedusa andere haben ertrinken sehen. Menschen, die aus Syrien fliehen und alles - Heimat, Haus, Hof und Angehörige - hinter sich lassen mussten, damit sie ihr Leben retten konnten.

Jung und Alt, Glaubende und Zweifler, Menschen im Glück und im Unglück fragen immer wieder: Wo ist Gott in unserer Welt, und ganz besonders in meinem Alltag erfahrbar?

Es gäbe keine Antwort ohne die Weihnachtsbotschaft. Oder die Antwort könnte nur eine kalte sein: Gott hat es so gewollt. Oder eine zynische: Gott hat mit den Menschen gespielt, so wie in einem grausamen Videospiel.

Auf solch bittere Antworten könnte man tatsächlich leicht kommen – gäbe es die Weihnachtsbotschaft nicht. Das alles wird durch die Weihnachtsbotschaft aus unseren Köpfen herausgefegt. Denn Weihnachten meint: Der bisher ferne und unsichtbare Gott ist auf einmal ganz nah, mitten drin in unserem Leben und nicht mehr außerhalb unserer Welt, eben als Mensch mit Verstand und Herz, mit Intellekt und Gefühl.

Unser Gott ist an Weihnachten ein Mensch geworden. Er ist hinabgestiegen in unseren Alltag, in unser Glück und in unser Unglück. Und dort, wo wir fröhlich sind und lachen, wo wir traurig sind und weinen – da können wir ihn suchen und auch finden.

Im Menschen ist Gott also nahe. Und er ist ein Gott nicht droben übern Sternenzelt, sondern unten, mitten unter uns Menschen.

Diese Vorstellung bringt Gefahren mit sich: dass er verkannt wird, dass er im menschlichen Zank zerrieben wird, dass er Schlimmes erfährt, wie Sie und ich.

Warum aber ist das so? Warum ist Gott ein Mensch geworden? Sicher nicht, weil er es nötig hatte. Sondern ganz einfach, weil wir es immer noch nötig haben.

Wir Menschen brauchen einen, der uns immer wieder zeigt, wie menschliches Leben geht, wie wir miteinander leben können, wie wir Glück und Lebensfülle genießen können.

Wir brauchen einen, der uns zeigt, was gilt, wenn wir traurig sind und Sorgen mit uns herumtragen. Wir brauchen einen, dem wir die Widersprüche unseres Lebens ans Herz legen können und dabei spüren: Sie sind bei ihm gut aufgehoben und in liebevollen Händen.

Wir Menschen brauchen einen Menschen, um selber Mensch zu werden. Nur deshalb ist Gott als Mensch in unsere Welt gekommen. Und es gehört zu seinem Wesen, dass er bei uns Menschen ist: bei den Menschen, die Schlimmes in ihrem Leben erfahren, die Scheitern erleben, Schmerz und Leid in ihrem Herzen herumtragen. Sie stützt unser Gott. Ihnen schenkt er Hoffnung und Kraft, damit sie wieder zum Leben finden.

Und er ist bei denen, die erfolgreich und glücklich sind, denen all das im Leben gelingt, was sie sich vornehmen. Ihnen gibt er positive Ausstrahlung, die andere anstecken kann, damit sie das ändern, was geändert werden muss. Gott ist ein Mensch geworden, weil er uns mitnehmen will auf den Weg in die Menschlichkeit, in ein menschliches und sinnerfülltes Leben.

Die Weihnachtsstimmung ist etwas Wunderschönes. Ob sie wieder verfliegt und dann vielleicht nur noch Leere zurück bleibt, oder ob sie unser Leben verändert, das entscheidet sich daran, ob wir das wirklich im Herzen hören und uns von ganzem Herzen darauf einlassen: dass unser Gott ein Mensch geworden ist und uns wie ein Bruder oder eine Schwester wie ein Mann oder eine Frau, wie eine Liebende oder ein Liebender in den guten und in den schweren Tagen begleitet, heute, morgen, im kommenden Jahr, das ganze Leben.

Gott wird Mensch, damit wir menschlich leben – das wünsche ich uns allen.

Amen