Geschmackvolles Soulalbum

29.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:38 Uhr

Thomas Quasthoff sieht sich nicht als Soul-Entdeckung. Sein neues Album ist trotzdem hörenswert. - Foto: Deutsche Grammophon

(DK) Nach dem Erfolg seines ersten Jazzalbums wagt Thomas Quasthoff einen neuen Ausflug ins nichtklassische Repertoire: "Tell It Like It Is" verbindet Soulklassiker und Popsongs mit funkigen bis bluesigen Sounds – und lässt damit die Genregrenzen verschwimmen.

Möchte man sich dieses Album zu Gemüte führen, sollte man nicht den Fehler begehen, völlig neue Interpretationen der bekannten Klassiker zu erwarten. Doch das war offensichtlich auch nicht Quasthoffs Absicht. "Ich bin nicht die neue Soul-Entdeckung und sicher auch nicht derjenige, der den Jazzgesang in Deutschland fünf Stufen weiter bringt", sagt der Sänger über sein Album. Er habe schlichtweg Spaß daran, Songs, die ihm am Herzen liegen, neu aufzunehmen.
 

Das ist ihm zweifellos gelungen. Die Zusammenstellung zeugt von gutem Geschmack, so sind unter anderem Bill Withers, Stevie Wonder, Randy Newman oder Ray Charles-Songschreiber Percy Mayfield vertreten.

Auch die Auswahl der Bandkollegen hätte man kaum besser treffen können: Mit Bruno Müller an der Gitarre, Frank Chastenier an den Keyboards, Dieter Ilg am Bass und Wolfgang Haffner am Schlagzeug lässt sich Quasthoff von eigenständigen Jazzpersönlichkeiten begleiten – eine Tatsache, die sich höchst positiv auf den Gesamteindruck auswirkt.

So überzeugt "Have A Talk With God" (u. a. von Stevie Wonder) vom ersten Schlagzeugbreak an mit transparent-funkigem Sound. Keine Frage, hier sitzt jedes Wah-Wah-verzerrte Gitarrenriff, der dezent-trockene Hammondsound, und das groovende Ensemble aus Schlagzeug und Bass schaffen ein solides Polster, auf das sich Quasthoff mit seiner erstaunlich flexiblen Stimme bedenkenlos fallen lassen kann.

Sehr mutig traut sich das Quintett auch an den Bill-Withers-Klassiker "Aint No Sunshine" heran. Das Intro ist durchaus erfreulich, es kommt mit rhythmisch zerlegtem Bassmotiv und funkig-sphärischem Sound daher. Quasthoffs Interpretation des Songs kann über weite Strecken ebenfalls befriedigen – doch der Song hat seine Tücken. So fehlt an manchen, entscheidenden Stellen eine gewisse emotionale Tiefe, die Bill Withers oder Al Jarreau niemand so leicht nachmachen wird.

Dass Produzent Jay Newland bereits mit Norah Jones zusammenarbeitete, schadet dem Album ebenfalls keineswegs. Songs wie "Have A Little Faith In Me" oder "Rainy Night In Georgia" weisen die typischen warmen Bass- und Gitarrensounds und die einfühlsame Klavierbegleitung auf, wie man sie von Alben wie "Come Away With Me" kennt. Hier kann Quasthoff aus dem Vollen schöpfen und mit seiner sonoren Tiefe glänzen.

Eingefleischte Jazz- und Soul-Verfechter sollten von "Tell It Like It Is" wohl die Finger lassen, ihnen werden Quasthoffs Interpretationen der Songs allzu gewollt und ein wenig zu offensichtlich strukturiert erscheinen. Möchte man das Album jedoch als Sammlung hörenswerter Klassiker sehen, begleitet von höchst überzeugenden Musikern und versehen mit einer in dem Genre noch gänzlich unbesetzten Stimme, hat man es zweifellos mit einem soliden, geschmackvollen Werk zu tun.

"Tell It Like It Is" ist bei der Deutschen Grammophon erschienen. Thomas Quasthoff singt bekannte Soul- und Popklassiker, unterstützt u. a. von Wolfgang Haffner.