Gemütliches Gruseln mit den Genossen

01.11.2009 | Stand 03.12.2020, 4:32 Uhr

Heitere Problemanalyse im Geiste von Halloween: "Wir haben wirklich genug Saures bekommen", bemerkte die bayerische Juso-Landeschefin Marietta Eder (2. v. r.) am Glühweinstand. Christian De Lapuente (r.) freut sich über Nachwuchskräfte wie Felix und Nathalie (l.). - Foto: Silvester

Ingolstadt (DK) Die Ingolstädter Jungsozialisten (Jusos) blicken trotz harter Zeiten wieder etwas hoffnungsfroher in die Zukunft. An ihrem gut besuchten Halloween-Stand am Samstagabend vor dem Münster plauderten sie in entspannter Runde auch darüber, was sich in der SPD jetzt dringend ändern muss.

Er war zwar erst drei Jahre alt, als der Kanzler aus der Pfalz abgewählt wurde, aber für politische Analysen im historischen Kontext ist Felix nicht zu jung. "Wir knüpfen wieder an die Ära Kohl an", klagt er mit ernstem Blick, derweil im Kinderpunschkessel vor ihm der Dampf aufsteigt. Die schwarz-gelbe Koalition betrübt den 14-Jährigen im roten Parteianorak zutiefst. Felix zählt zu den Hoffnungsträgern der Ingolstädter Jungsozialisten. Kurz vor der Bundestagswahl ist er beigetreten. Der wenig erfreuliche Zustand der SPD vermochte ihn nicht abzuschrecken, ganz im Gegenteil: "Das hat mich ja gerade motiviert, denn ich will mithelfen, es besser zu machen."

Neben Felix schenkt – ebenfalls in SPD-Rot – die 16-jährige Nathalie Glühwein an ihre Genossen sowie allerlei gruseliges Volk aus, das in der Halloween-Herbstfaschingsnacht am Juso-Stand vorbeizieht und gerne bei einem mit viel sozialer Wärme servierten Gratis-Heißgetränk verweilt. Bei Nathalie war es die Mutter, die in ihr das Feuer der Sozialdemokratie entfachte. Seit einem halben Jahr ist die Schülerin nun Genossin. Diverse Anwürfe Gleichaltriger wegen vermeintlicher Uncoolness der SPD lässt Nathalie mit solidarischem Trotz an sich abprallen. "Ich steh’ dazu!"

Beim Rühren im Punschtopf philosophiert Felix über seine Lagerfindung. Von der Absicht beflügelt, in die Politik zu gehen, hat er Parteiprogramme studiert. Mit folgendem Ergebnis: "Die Schwarzen sind mir zu angeberisch, die Grünen zu rechthaberisch und die Linken zu kommunistisch." Die FDP kam für Felix von vornherein nicht in Frage. Blieb die SPD.

Juso-Chef Christian De Lapuente, vor wenigen Tagen wiedergewählt, hört diese optimistischen Signale gerne. Wie die meisten Genossen am Stand ist er Halloween-gerecht maskiert. Mit seiner großflächigen Augenbrauenbemalung erinnert er etwas an den jungen Theo Waigel. "Die Neueintritte machen uns viel Hoffnung."

Die Politik soll hinter die Geselligkeit zurücktreten in dieser unheimlichen Nacht. "Wir wollen mit jungen Leuten locker ins Gespräch kommen", sagt de Lapuente und ergänzt: "Wir brauchen einen Imagewechsel."

In einer Konzertpause schaut Joachim Lang vorbei. Der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks wirft sich im Herannahen noch schnell einen schwarzen Vampirumhang über die Schultern. "Es ist wirklich schön zu sehen, wie sehr sich die jungen Leute hier engagieren!" Dann geht er samt Kittel wieder in die Fronte.

Je schwärzer die Nacht, desto lichter der Blick in die Zukunft. Tobias Tralmer, 22, Student der Mechatronik an der Hochschule Ingolstadt und soeben als Juso-Vize wiedergewählt, entwirft bei einem Becher Glühwein eine Agenda für die Neuorientierung der Jusos in den nächsten, wahllosen vier Jahren. "Zuerst müssen wir uns mit uns selbst beschäftigen." Sammeln, sortieren, die Mitglieder motivieren. Und zugleich mehrheitsfähige Themen finden. Tralmer kennt bereits drei: Bildung. Bildung. Bildung. "An den Hochschulen herrscht Chaos!" Die Bachelor- Studiengänge seien ein Flop. An den Schulen sieht der Jungsozialist gleichwohl Defizite: Leistungs- und Leidensdruck, ungenügende Ausstattung, überfüllte Klassen", kurz: ein weites Betätigungsfeld für Politiker.

Der Ehrengast des Abends ist nicht verkleidet: Marietta Eder, Landesvorsitzende der Jusos in Bayern. Ebenso ungeschminkt tut sie ihre Meinung kund. "Die SPD muss dringend wieder demokratischer werden!" Das bedeute: mehr Macht der Basis. "Es war einfach unmöglich, wie sich Frank-Walter Steinmeier noch in der Wahlnacht selbst zum Oppositionsführer ausgerufen hat", klagt die 32 Jahre alte Politikerin aus Schweinfurt. "Bei uns wird gewählt!" Deswegen werden die Jusos den kommenden SPD-Chef Sigmar Gabriel aufgeschlossen, "aber sehr kritisch" beäugen.

Die Zukunft der SPD sieht sie in einer Besinnung auf die alten Stärken. "Unsere Partei wurde früher mit Aufstiegshoffnungen verbunden." Kämen die Genossen dahin zurück, sagt Marietta Eder sinngemäß, seien die gruseligen Zeiten vorbei. Ihr Fazit formuliert sie ganz im Geist der der Halloween-Folklore: "Wir haben zuletzt wirklich genug Saures bekommen."